Wenn es daemmert
geht.«
»Nicht gut geht! Er hat Geld zum Scheißen, kann machen, was er will, und musste sich im Leben noch nie anstrengen, und Sie sagen, dem Kleinen geht’s nicht gut! Mir kommen die Tränen!« Sie hörte, wie er ausspuckte. »Sein Vater ist ein guter Kerl, wissen Sie? Er würde alles für seinen Sohn tun. Und Cedric interessiert sich nicht mal dafür!«
»Sind Sie Darneys Beispiel gefolgt, als Sie Sandra Robertson für Pete bestellt haben?« Es war ein Schuss ins Blaue.
»Vielleicht haben Sie Recht. Ich dachte, der Junge soll auch mal was Gutes im Leben bekommen. Fängt immer an zu sabbern, sobald er eine Frau sieht, aber kommt nie zum Zug. Kann ja keiner wissen, dass ein Triebtäter in ihm steckt.«
In Cedrics Haus wechselte die Beleuchtung. Im ersten Stock wurden Lichter gelöscht, im unteren gingen andere an. Gleich würde er kommen. Douglas würde nicht schießen, wenn Cedric so nahe war.
»Wo haben Sie die Waffe her?«, fragte sie, denn mittlerweile gingen ihr die Fragen aus. »Es war wahrscheinlich nicht einfach, sie zu besorgen. Und Sie haben sie ja wohl kaum aus den USA hergeschmuggelt?«
Doug lachte leise in sich hinein. »Schmuggeln? Wozu? Waffen kann man überall kaufen, auch in diesem Land. Warum haben Sie keine?«
Ihre Pistole schlummerte friedlich in ihrem Spind. Sie hatte nicht gedacht, dass sie sie heute brauchen würde.
»Mit dem nötigen Kleingeld und den richtigen Beziehungen bekommt man alles«, fügte Doug selbstzufrieden hinzu, als sie nichts sagte. Unruhig sah sie zu Cedrics Haus hinüber, wo immer noch die Lichter im Erdgeschoss leuchteten.
»Noch Fragen? Sie sind so still!« Doug klang amüsiert. »Oder habe ich Ihre Neugier befriedigen können?«
Ihr Kopf war leer. »Cedric ist nebenan«, stammelte sie endlich.
»Das kommt vor. Schließlich wohnt er dort.«
»Er wird den Schuss hören!«
»Und? Was dann?«
»Dann wird er nachsehen und Sie hier finden!«
»Wenn Ihnen irgendetwas an Cedric liegt, sollten Sie beten, dass er genau das nicht tut. Stellen Sie sich vor: Sie tot im Garten – und Cedric tot daneben, die Waffe in der Hand, mit der auch noch Matt erschossen worden ist. Der arme Lord Darney … Nun, er würde natürlich darüber hinwegkommen. Er hätte mich.«
Er packte sie und zog sie näher an sich heran. Isobel spürte den Lauf der Waffe an ihrer Schläfe und presste die Augen zu. Die Lichter in Cedrics Haus gingen aus.
9.
Island, dachte Mina. Da hatte sie schon immer mal hingewollt. Oder zu den Shetland-Inseln. Färöer. Dort musste es schön sein. Sie kannte nur Fotos. Wie wunderbar Mittsommer sein würde. Immer hatte sie davon geträumt, immer hatte sie in den Norden gewollt. Aber das war nun vorbei.
Sie war vor drei Monaten dreißig Jahre alt geworden und hatte gedacht, ihr stünden noch alle Möglichkeiten offen. Nun saß sie in einem dunklen, modrigen Keller, und das Einzige, was ihr blieb, war ihre Fantasie. So lange er sie noch am Leben ließ.
Aber ihre Fantasie hatte sie schon vor langer Zeit im Stich gelassen. Seit der Geschichte mit Neil war alles, was sie früher am Leben gehalten hatte, verschwunden. Der Schock, die Zeit in der Klinik, die Tabletten, die man ihr verschrieben hatte, schienen Minas Innerstes getötet zu haben. Einer der Therapeuten hatte ihr gesagt, nach Sigmund Freud sei die Libido die Triebfeder für die Kreativität. Die Tabletten sorgten dafür, dass ihre Libido so gut wie nicht mehr vorhanden war. Sex interessierte sie nicht mehr. Aber sie dachte: Ohne Tabletten wäre es genauso. Das Bild von Neil mit der anderen Frau in ihrem Bett ließ sie nicht los. Es tauchte nachts in ihren Träumen auf. Sie sah die beiden vor sich, sobald sie auf der Straße ein Liebespaar erblickte. Ihr Gehirn fand immer einen Anlass, dieses Bild in immer neuen Varianten vor ihrem inneren Auge zu erzeugen. Dagegen konnten auch die Tabletten nichts tun. Es war ihr nur sehr viel gleichgültiger.
Nur, dass sie mit dieser Gleichgültigkeit nicht schreiben konnte. Deshalb hatte sie unterrichten wollen. Klare, geregelte Bahnen, ein geordnetes Leben. Irgendwann würde der richtige Zeitpunkt kommen, es ohne Tabletten zu versuchen. Die Depressionen würden wegfliegen wie ein Schwarm schwarzer Krähen, der Nebel würde für immer verschwinden, und dann würde sie wieder zurückkehren, die Kreativität. Die Libido.
Was für ein Traum, was für ein Unsinn. Dass ihre Kreativität sie verlassen hatte, dass sie sterben würde, ohne die Chance gehabt zu haben,
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