Wenn es daemmert
eine Weile sehr gemocht, aber für Tränen reichte es nicht.
Sie hatten sich in den zwei Wochen, die sie in St. Andrews war, näher kennengelernt und viel Zeit miteinander verbracht. Geflirtet, gescherzt, gelacht. Er hatte ihr gutgetan, jedenfalls am Anfang.
Zum ersten Mal hatten sie sich ausgerechnet auf jener Strandparty getroffen, bei der sich Matt mit Mrs McCallum vergnügt hatte. Die Party fand im »Catch« statt, einer Art Bistro am Strand. Das Gebäude, das auch das »Catch« beherbergte, war mehrere Stockwerke hoch und überbrückte so den Höhenunterschied an der Steilküste. Man erreichte das »Catch« entweder vom Strand aus oder von oben, indem man den Weg durch das St.-Andrews-Aquarium und den dazugehörigen Souvenirladen nahm. Früher waren in den Räumen des Bistros die Umkleidekabinen für die Strandbesucher untergebracht gewesen. Umkleidekabinen brauchte heute niemand mehr. Die Prüderie war verschwunden. Die Badenden auch, nachdem der Zwei-Wochen-Pauschalflug mit Vollpension nach Mallorca billiger geworden war als ein langes Wochenende an der schottischen Nordseeküste – zumal das Wetter hierzulande nicht eben dazu angetan war, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten.
Mrs McCallum war relativ früh verschwunden. Daraufhin hatte Matt Mina ins Visier genommen, die zugegebenermaßen etwas verloren an der Bar herumstand und sich am liebsten hinter ihrer Colaflasche versteckt hätte. Mina hatte nicht gewusst, wer er war. Sie hatte sich noch nie sehr für Sport interessiert, für Golf am allerwenigsten.
»Das Gesicht kommt mir doch bekannt vor«, sagte er, stellte sich neben sie und orderte einen Gin Tonic. »Irgendwo hab ich dich schon mal gesehen. Wo kann das wohl gewesen sein?«
Mina lächelte kühl. »Fragen Sie doch mal Ihre Freundin? Vielleicht kennt sie mich auch?«
»Wen? Meine Freundin?« Er mimte den Unschuldigen.
Mina trank wortlos ihre Cola aus und machte sich auf die Suche nach der Toilette. Als sie fertig war, beschloss sie, nach Hause zu gehen.
Der Amerikaner stand vor ihr, als hätte er auf sie gewartet. »Noch eine Cola, oder lieber was Richtiges?«, fragte er. Mina schüttelte den Kopf.
»Ich geh nach Hause. Danke.«
»Ich weiß jetzt, woher ich dich kenne«, sagte er zu ihrer Überraschung, denn sie hatte den Spruch für eine dumme Standardanmache gehalten. »Times Literary Supplement.«
»Kaum zu glauben, dass Sie so etwas lesen«, sagte sie spöttisch.
Er lachte. »Das war gelogen. Ich hab aber in der New York Times was über dich gelesen. Dachte, das könnte passen. Ehrlich gesagt hab ich das deshalb so genau im Kopf, weil es die Ausgabe war, in der auch ein großer Artikel über mich stand. Hab deshalb die ganze Zeitung aufgehoben und immer mal wieder durchgeblättert. Ich bin nämlich schrecklich eitel. Bei dem Artikel über dich bin ich natürlich hängen geblieben, nicht zuletzt wegen des Fotos. Außerdem stand der Bericht auf der einzigen Seite, die mich noch so halbwegs interessiert.«
»Literatur?«
»Klatsch und Tratsch.«
»Oh.«
»Wann werden deine Bücher verfilmt? Ich hab sie ehrlich gesagt nicht gelesen.«
»Das hätte ich auch nicht erwartet«, sagte Mina, allerdings nicht mehr ganz so kratzbürstig wie noch vor einer Minute.
»Muss sie mir jetzt wohl kaufen, wenn ich dich schon persönlich kenne. Du könntest sie mir signieren.«
»Kaufen und in den Schrank stellen reicht mir voll und ganz für die Auflage. Lesen wird völlig überbewertet.«
»Das ist die richtige Einstellung«, grinste er und stellte sich endlich vor. »Matthew Barnes, nenn mich Matt. Willst du wissen, warum ich in der NYT war?«
»Bevor du platzt …« Sie sagte es mit einem Lächeln.
»Du interessierst dich offensichtlich nicht für Golf. Sonst würdest du mich selbstverständlich kennen. Darf ich vorstellen: Der demnächst beste Golfer der Welt!«
»Oh nein! Du bist der kleine Bruder von Tiger Woods?« Sie machte zum Spaß große Augen, und er schnitt eine beleidigte Grimasse.
»Warte mal ab, nächstes Jahr werden alle fragen: Wer war noch mal dieser Tiger … Irgendwas?«
So waren sie ins Plaudern gekommen, oberflächliches Geplänkel zwar, aber Mina hatte seine Gesellschaft genossen.
Von da an hatten sie sich öfter getroffen. Abgesehen von ihren Kollegen und ihren Studenten, mit denen sie noch ein förmlich-distanziertes Verhältnis wahrte, war Matt der Einzige in St. Andrews, den sie kannte. Zwei Wochen sind keine lange Zeit, aber wenn man jemanden zwei Wochen
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