Wenn es daemmert
lang täglich sieht, manchmal auch mehrmals am Tag, wenn man irgendwann auf die Anrufe und SMS des anderen wartet, dann fühlt man sich demjenigen oft irreführend nah.
Sie konnte nicht recht sagen, ob sie sich in Matt verliebt hatte. Ihre Tabletten verhinderten, dass sie sich tief in einem Gefühl verlor, so, wie sie auch die Libido lahmlegten. Er hat eine Freundin, und wir sind nur gute Bekannte, mehr soll es auch nicht sein, hatte sie sich zudem immer wieder gesagt. Aber seine Freundin erwähnte er nie, und von nun an ging er stets mit Mina aus.
Vergangenen Freitag dann gab er in seinem Haus eine Party. Mina war natürlich eingeladen. Sie kam absichtlich etwas später und hielt verstohlen nach der blonden Frau von der Strandparty Ausschau.
Mina wollte den Abend zum Anlass nehmen, andere Bekanntschaften zu schließen, um nicht mehr allein auf Matt angewiesen zu sein – und um mehr über ihn zu erfahren: wie er mit anderen Menschen umging. Sie war erstaunt und auch enttäuscht gewesen, als sie feststellen musste, dass fast alle anwesenden Gäste Studenten waren, darunter auch einige aus ihrem Kurs. Der Rest waren amerikanische Geschäftsleute, die zum Golfen in St. Andrews waren und Matt auf der Straße erkannt hatten.
Er war noch viel eitler, als sie erwartet hatte. Er ließ sich von den Amateurgolfern ausgiebig anhimmeln und gab auch mit ihr mächtig an. Schon die Art, wie er sie vorstellte, war ihr zuwider: Bestsellerautorin, wird demnächst von Hollywood verfilmt, eine sehr gute Freundin von mir. Sie heißt übrigens Mina. Ähm, Williams. Genau.
Und wenn jemand sich erdreisten sollte, nicht beeindruckt auszusehen, gab er sich schockiert: Wie konnte man Minas Bücher nicht kennen?
Dabei kannte er wahrscheinlich nicht einmal auch nur einen einzigen Titel oder wusste, wie viele Bücher sie bisher geschrieben hatte. Er hatte sie nie danach gefragt, fiel ihr mit einem Mal auf. Wenn sie sich alleine getroffen hatten, dann hatte er ihr die Stadt gezeigt und ihr alles erzählt, was er darüber wusste, Anekdoten über dies und das, was er wann wo erlebt hatte in den paar Monaten, die er in Schottland war. Er hatte von seinen Plänen gesprochen, von seiner Kindheit auf Long Island, vom Golfen. Eigentlich hatten sie nur über ihn gesprochen, und Mina hatte es nicht gestört. Sie hatte im vergangenen Jahr dreimal in der Woche mit jemandem über sich sprechen müssen, jeweils mindestens eine Stunde, oft länger und über jedes kleine, schmerzliche Detail.
Auf seiner Party allerdings wurde ihr mit einem Mal bewusst, dass er an ihrer Person keinerlei Interesse hatte, es ging ihm nur um ihre Popularität oder um das, was davon übrig war, und sie merkte, wie ihr seine eitle, oberflächliche Art zunehmend auf die Nerven ging.
Mina verließ die Party früh, ohne sich zu verabschieden, sah beim Herausgehen die blonde Frau aus dem »Catch« und reagierte am nächsten Tag nicht auf seine SMS , ging auch nicht ans Telefon. In der fünfundzwanzigsten Nachricht bat er sie um ein Treffen im Bertrand-Hotel. Geschmeichelt von seinen Anstrengungen beschloss sie, ihm noch eine letzte Chance zu geben. Also trafen sie sich auf einen Drink. Er Gin Tonic, sie Orangensaft.
Danach gingen ein sie wenig am Weststrand spazieren, ein Weg, der, wie Mina wusste, zu seinem Haus führte. Aber St. Andrews war klein, der Abend war mild, die Seeluft klar und rein, und dunkel wurde es erst spät. Warum also nicht einen kleinen Umweg machen, dachte sich Mina, die für ihren eigenen Nachhauseweg eine ganz andere Richtung hätte einschlagen müssen, denn sie wohnte in der Nähe des kleinen Hafens, an den der Oststrand anschloss.
Schließlich hatten sie vor seinem Haus gestanden, und er bat sie, noch mit hineinzukommen. Er war den ganzen Abend sehr zurückhaltend, höflich und aufmerksam gewesen. Er wusste genau, was er falsch gemacht hatte und wollte ihr beweisen, dass sie sich irrte.
Sie hatte zugestimmt, aber nicht, ohne ihm klar zu verstehen zu geben, dass sie zwar seine Gesellschaft schätzte, jedoch keinesfalls einen Schritt weitergehen wollte. Sie hatte Cocktails akzeptiert, von denen er geschworen hatte, dass sie keinen Alkohol enthielten, und wollte sich gerade verabschieden, als sie merkte, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Der Klang seiner Stimme schien immer weiter wegzurücken. Es rauschte dumpf in ihren Ohren. Vor ihren Augen verschwamm alles, und wenn sie versuchte, den Blick zu fixieren, wurde es nur noch schlimmer. Zudem
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