Wenn Tote schwarze Füße tragen
Ob Sie oder Blois
das Mädchen umgebracht haben, weiß ich nicht. Auf jeden Fall war das Verbrechen
nicht von langer Hand geplant. Ein geplanter Mord sieht anders aus. Man war
gezwungen, die Leiche in der Rue Bras-de-Fer hängenzulassen. Die Straße ist
nämlich so schmal, daß kein Leichenwagen bis vor die Tür fahren kann... Bleiben
wir noch einen Augenblick bei Christine Crouzait. Sie wurde nicht abgehängt,
und wenn es nur von Ihnen abgehangen hätte, wenn ich so sagen darf, dann hätte
der Name der Friseuse nicht auf der Liste mit Agnès’ Bekannten gestanden. Doch
Dacosta und Laura kannten das Mädchen, ihren Namen und ihre Adresse. Nun gut...
Wie es scheint, wurde sie Dienstagabend getötet, kurz vor meiner Ankunft in
meiner guten alten Geburtsstadt. Möglicherweise wollte man mit ihr üben: Nestor
Burma, ein Privatflic aus Paris, kommt zu dir, er wird dich das und das fragen,
und du mußt das und das antworten usw. Christine muckt auf, will sich nicht zur
Komplizin irgendeiner Schweinerei machen lassen. Mittwochmorgen war ihre Freundin
nicht zu ihr in die Wohnung zurückgekommen, und jetzt erzählt man ihr, daß ein
Privatflic aus Paris gekommen ist und sie über Agnès’ Verschwinden befragen
will... Einmal schon hat sie sich die Finger verbrannt, bei der Affäre um
diesen Notar und der Geschichte mit Maud Fréval, der Kleinen aus dem
Erziehungsheim, die sie bei sich zu
Hause beherbergt hat. Christine hat
Manschetten. Sie sträubt sich. Ihr Besucher erdrosselt sie und hängt sie nackt
an den Kronleuchter. Offenbar das Verbrechen eines Sadisten. Sand in die Augen.
Danach das übliche Großreinemachen in der Wohnung des Opfers mit anschließender
Verbrennung von Agnès’ Kostüm. Es sei denn, Christine hat es selbst in den
Küchenherd geworfen, um alle Spuren von Agnès zu verwischen, nachdem sie von
ihrem Verschwinden erfahren hatte.“
„Verschwinden, Verbrennung...
Vermutung“, spottet Dorville.
„Egal, wer das Kostüm ins Feuer
geworfen hat, es verbrennt nicht ganz und gar. Ich zeige Ihnen den geretteten
Stoffetzen und erzähle Ihnen von meinen Entdeckungen. Daß ich ein Verbrechen
vermute, gefällt Ihnen überhaupt nicht. Doch das ist nur zweitrangig neben dem
Verdacht, den ich Ihnen gegenüber äußere: daß Ihnen nämlich weniger daran
gelegen ist, Agnès zu finden, als daran, dem Verräter die fünfzig Millionen abzujagen.
Zwar täusche ich mich in diesem Punkt, aber daß ich diesen Verdacht äußere,
gefällt Ihnen nicht. Sie raten mir sogar dazu, den Fall... äh...
fallenzulassen. Offenbar sind Sie zu der Überzeugung gelangt, daß ich besser
weit weg wäre, gleich welche Wendung die Ereignisse nehmen werden. Blois jedoch
bringt Sie wieder auf Schwung, und gemeinsam inszenieren Sie die ‚Operation Petit-Chêne ’...
Bevor ich darauf zu sprechen komme, noch ein Wort zu meinem ersten Besuch in
der Rue Daranaud und noch ein weiteres zu Christine Crouzait. In der Rue
Daranaud werde ich beinahe von Mireille verführt. Ich weiß nicht, ob auf Befehl
oder aus ehrlicher Zuneigung zu mir. Doch es kommt nicht dazu. Dafür
entschlüpft Mireille, blau wie sie ist, ein merkwürdiger Satz: ‚Als wir über
Sie gesprochen haben... Ich meine, als ich den Artikel im Echo las...
Ich dachte: ,Ei, sieh an, man hat über mich gesprochen! Wer? Dorville, Laura,
Dacosta? Woher weiß Mireille das? Hörte sich an, als hätte man in ihrer
Gegenwart über mich gesprochen.’ Ich nehme an... Wollten Sie etwas sagen?“
Dorville zuckt nur mit den Achseln, so
daß ich fortfahre:
„Ich nehme an, daß Sie, nachdem Sie
mich in Paris angerufen haben, zu Blois geeilt sind, um ihm über die Ankunft
des Störenfrieds zu berichten. Bei dieser Gelegenheit sind Sie auf die Idee
verfallen, Sie beiden Schlauberger, mich für Ihre Ziele einzuspannen. Und
Mireille und Blois, vielleicht beide gleichzeitig, haben gerufen: ,Burma?
Nestor Burma? Aber das ist doch der Enkel unseres früheren Pächters!’ Von wegen
,Ihr Name sagt mir nichts’! Im Gegenteil! ,Das ist ja prima!’ werden sie gesagt
haben. ,Wir können ihn überwachen, ohne daß er etwas Böses ahnt!’ Nun, ich habe
den beiden nicht die Zeit dazu gelassen... Noch ein letztes Wort zu Christine.
Während unseres Gesprächs letzten Donnerstag habe ich Ihnen die
Zahlungserinnerung gezeigt, die Postkarte, die ich im Briefkasten der Friseuse
gefunden habe. Absender: Maud Fréval, die Kleine aus dem Erziehungsheim, der
man eine monatliche Rente zahlt als Schweigegeld in Sachen
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