Wenn Wir Tiere Waeren
ich keine Kinder wollte, wäre ich natürlich einverstanden gewesen, wenn Thea ein Kind gewollt hätte. Aber von dir wollte sie keines! Dafür musste ein anderer Mann kommen. Ich war voller Gram und ungeklärtem Heimweh. Der schwangere Bauch war nicht das, was er für mich hätte sein müssen: ein endgültiges Trennungszeichen. Im Gegenteil, der dicke Bauch holte Thea wieder nah an mich heran: als Versagen, als Versäumnis, als Schuld. Meine Finger krallten sich in eine Schaumstoffmatratze. Zum Glück war hier Hochbetrieb. Kein Verkäufer wollte etwas von mir, niemand nahm Anstoß an mir. Zwei Minuten später wusste ich, warum Thea hier war: Sie schaute nach einem Kinderbett. Langsam arbeitete ich auf, was geschehen war. Für den neuen Mann hatte sie offenkundig ihre Lebenslaufrichtung verändert. Neue Zähne hatte sie schon, jetzt kriegte sie auch noch ein Kind. Ich fühlte mich fassungslos und schwach. Eine grotesk starke Eifersucht quälte meinen Kopf. Dabei war längst klar, dass ich in diesem Fall der Verlierer war. Wenn nur dieses unverständliche Heimweh nicht gewesen wäre!
War es möglich, dass man als Mann Heimweh nach einer Frau hatte? Davon hatte ich nie gehört und niegelesen, aber offenbar gab es das, ich fühlte es in meinem wunden Kopf. Es erstaunte mich, dass mir keine Tränen kamen. In früheren Jahren hätte mir ein ähnlich starkes Erlebnis die Augen eingefeuchtet. Ich hatte mir Theas Leben mit einem anderen Mann so vorgestellt, dass sie ruhig mit ihm beischlafen und in Urlaub fahren konnte und so weiter, aber für so zentrale Fragen wie Kinderzeugung und anderes wäre weiterhin ich zuständig gewesen. Eine blöde Allerweltseinsamkeit überflutete mich, es war eklig. Du hättest sie ohne Rücksicht jahrein, jahraus ficken sollen! Irgendwann wäre sie einfach schwanger geworden, Schluss! Statt dessen diese jahrelangen gutmütigen Gespräche, ob man ein Kind haben sollte oder nicht und wann es am besten käme, vielleicht mit Ende dreißig?! Aber dann klappt es bei vielen Frauen nicht mehr, darauf kann man sich nicht verlassen. Jetzt war einfach ein Fremder aufgetreten und hatte den Rest erledigt, während ich mich in aller Gutmütigkeit zu einem peinlichen Unglücksbeobachter entwickelt hatte, der immerzu darauf achtete, dass nichts Unüberlegtes geschah. Hinter den Kaltschaummatratzen wartete ich, bis meine Erregung abgeklungen und der Schweiß eingetrocknet war. Thea hatte ich inzwischen aus dem Blick verloren. Weil ich Angst hatte, ihr doch noch zu begegnen, vermied ich die Benutzung der Rolltreppen. Nicht weit von mir öffneten sich die Türen eines Aufzugs. Mit ihm fuhr ich hinab ins Erdgeschoss. Ich wartete ab, bis der Weg zum Ausgang übersichtlich und frei war. Selbst draußen auf der Straße redete ich noch an mich hin. Sie hat über Jahre deine Wünsche beachtet, aber eigentlich hatte sie sich etwas anderes vorgestellt und wartete auf einen anderen Mann. Wie ein schadhaftes altes Teil rumpelte ich die Straße entlang. Niemand sah meine Verletztheit.
10
WENN ICH MARIA abends besuchte, nahm ich manchmal meinen Schlafanzug mit. Obwohl ich nicht wirklich glaubte, bei Maria einziehen zu können, tat ich zuweilen so, als würde ich auf diesen Punkt hinleben. Maria machte nicht einmal eine Bemerkung, wenn ich weit nach Mitternacht meinen Schlafanzug anzog und zu ihr ins Bett kroch. Ich hatte immer noch meine eigene Wohnung, aber ich hielt mich nicht mehr gerne dort auf. Ich hatte ein wenig das Gefühl (den Verdacht, den Argwohn), dass mich auch das Alleinsein in meiner Wohnung auf Abwege geführt hatte. Ich redete mit Maria inzwischen sogar über meine Lebensersparnis, die ich eigentlich Lebenseinschüchterung hätte nennen müssen, wenn das Wort nicht so verräterisch gewesen wäre. Nie zuvor hatte ich mit einem Menschen über dieses Thema gesprochen, mit einer Frau schon gar nicht. Vermutlich durchschaute Maria die Zusammenhänge und schwieg, weil sie mich nicht verletzen wollte. Die Wohnung verlassen (egal, ob meine oder Marias Wohnung) war/ist immer eine gute Folge von Augenblicken. Kurz danach befand ich mich sowieso auf den immer gleichen Straßen. Dann hatte ich das Gefühl, als hätte ich die Wohnung gar nicht verlassen. Oder es war so, als seien die Straßen ein Teil meiner/unserer Wohnungen geworden. Während ich ging, wurde meine Innenlage sanfter. Momentweise nahm ich sogar teil an allgemeinen Veränderungen.Normalerweise war meine Innenlage so herrschsüchtig, dass sie mir
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