Wenn Wir Tiere Waeren
stillen, weil sie keine Milch hat. Eine Schwester nahm ihr den Säugling wieder weg, die Zwölfjährige begann zu weinen. Jetzt schaltete ich auch den Fernseher ab, ging zum Fenster, sah auf die nasse Straße hinunter und aß dabei den Fertigsalat.
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AM TAG DER BEERDIGUNG von Michael Autz kam es zu einer kurzen, bösartigen Auseinandersetzung mit Maria. Sie sagte, ich solle meine Schuhe putzen, ehe ich losgehe. Ich antwortete, eine Beerdigung ist eine Beerdigung und keine Konfirmation und auch keine Verlobung. Maria verstand die Bemerkung nicht, was sie auch zugab. Es ist ein Gebot der Höflichkeit, sagte Maria, bei der Beerdigung eines Freundes mit geputzten Schuhen zu erscheinen. Autz war nicht mein Freund, antwortete ich. Trotzdem, sagte Maria. Ich wollte ihr nicht erklären, dass es ein angenehmer metaphysischer Zustand ist, Schuhe bei ihrer fortlaufenden Selbsteinschmutzung zu beobachten. In Wahrheit waren meine Schuhe nicht einmal schmutzig, sondern nur staubig. Maria unterschied zwischen diesen beiden Möglichkeiten nicht. Ich versuchte, ihr die Differenz zu erklären. Staubig wird etwas von selbst, sagte ich, durch Teilhabe an dem großen Staub, in dem wir alle leben müssen. Schmutz hingegen ist ein selbständiges Eintauchen in ein Konzentrat von Ausscheidungen, das durch die ständige Umwandlung der Natur entsteht. Schmutzig werde ich, wenn ich eine Baustelle durchquere oder einen Kohlenkeller aufräume. Die letzten Sätze sprach ich schon zu mir selber hin. Es war aussichtslos, Maria mit diesen Inhalten zu konfrontieren. Ärgerlich wurde ich kurz vor Verlassen der Wohnung. Maria nahm ein Papiertaschentuch, ging vormir in die Knie und wischte mit dem Taschentuch über meine beiden staubigen Schuhe. Ich schaute gegen die Wand und schwieg. Wenn du schon in deinem alten Anzug erscheinst, müssen wenigstens die Schuhe glänzen, sagte Maria. Auch darauf sagte ich nichts.
Der Tag war hell und warm. Feldlerchen ließen sich auf den Wegen des Friedhofs nieder, wippten kurz mit dem Schwanz und flogen über die Gräber davon. Ich sah einzelne Trauergäste, die ich nicht kannte. Der erste, den ich wiedererkannte, war Erlenbach, einer der beiden Eigentümer des Architektenbüros, für das ich in den letzten Jahren hauptsächlich gearbeitet hatte und vielleicht weiterarbeiten würde. Ich schwankte, ob ich Erlenbach über die Grabsteine hinweg grüßen sollte oder nicht. Dann merkte ich, dass er mich nicht erkannte, obwohl ich ihm in seinem Büro hin und wieder begegnet war; aber was heißt das schon, Erlenbach hatte viele freie Mitarbeiter. Der Hauptweg des Friedhofs führte zu einer kleinen Kapelle, auf deren Dach jetzt ein helles Glöcklein ertönte. Ein richtiges Sterbeglöckchen! Ich war nicht sicher, ob ich wirklich um Autz trauerte, vermutlich nicht. Ich hatte nur eine gewisse traurige Stimmung, aber die ging eher auf die Umgebung zurück. In der Kapelle traf ich Angestellte des Architektenbüros, ich gab ihnen die Hand, wobei mich ein seltsam unangemessenes ritterliches Gefühl beschlich. Die große Mehrheit der Trauergäste gehörte der Familie an, der ich nie zuvor begegnet war. Karin hatte ich noch immer nicht gesehen. Vermutlich saß sie ganz vorne, und ich würde erst später, am Grab, auf sie treffen. Erlenbach gab sich Mühe, so wenig Leute wie möglich anzuschauen. Vorne, am Altar, war der Sarg aufgebahrt. Ein Pfarrer erschien und hielt eine kurze, konventionelle Beerdigungsrede, ich hörte nicht zu.
Ich betrachtete die schwarzgekleideten Frauen ringsum und dachte an Thea. Eine Frau wie sie würde ich nicht mehr finden, schlimmer noch, ich würde sie auch nicht mehr suchen wollen. Im Gegenteil, momentweise beherrschte mich das Lebensgefühl, dass ich mich auf eine ernsthafte neue Liebesgeschichte nicht noch einmal einlassen wollte. Ich würde mich mit Maria abfinden, obwohl ich auch das nicht wollte. Meine seltsame Liebesgenügsamkeit passte sehr gut zum Friedhof. Ich hatte mir schon oft vorgenommen, mich nicht mehr verausgaben zu wollen, und dann war doch alles anders gekommen. Ich wollte über die Zukunft der Liebe keine Pläne mehr entwerfen, in einer Friedhofskapelle schon gar nicht. Der Pfarrer beendete seine Ansprache, vier Friedhofsarbeiter erschienen und zogen den auf einem Wagen mit Gummireifen aufgebahrten Sarg durch den Mittelgang der Kapelle hinaus ins Freie. Unmittelbar hinter dem Sarg sah ich Karin. Sie wirkte ein wenig kleiner als sonst, fast ein bisschen eingeschrumpft. Der Tod machte
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