Wenn Wir Tiere Waeren
ich inzwischen mit ihr fest liiert war, hatte ich immer öfter das Gefühl, dass ich neben ihr immer einsamer wurde. Das war natürlich meine Schuld. Ich hätte vor mir selbst anerkennen müssen, dass Maria nicht zu mir passte. Aber ich kam mit meiner Loslösung nicht voran. Marias Art, sich an mich zu klammern, rührte mich nicht nur sehr, sondern flößte mir außerdem die Idee ein, dass ich Maria gegenüber eine Aufgabe zu erfüllen hätte. Nurglaubte ich selbst nicht an diese Aufgabe. Diese Gewissheit berührte die tiefste Schicht unseres Problems: Ich hatte selbst nur mangelndes Talent zu einem sogenannten normalen Leben. Nehmen wir als Beispiel das ruhige Nebeneinandersitzen von Mann und Frau in einem Zimmer. Die Frau betrachtet die Knöpfe an ihrer Wollweste, der Mann liest die Zeitung oder sitzt vor dem Fernsehapparat. Wenn eine solche Situation zwischen uns andauerte, fühlte ich bald den Zwang, dass ich etwas sagen müsste. Und fing tatsächlich an zu reden: Gegen meinen Willen und oft auch gegen mein Vermögen. Wenn ich nicht reden wollte oder konnte, verließ ich mit einem Schuldgefühl den Raum. Zum Beispiel ging ich ins Bad und duschte oder ich putzte Schuhe auf dem Balkon. Wenn ich danach wieder im Zimmer erschien, fragte Maria: Warst du duschen? Dann musste ich mich beherrschen, um nicht aus der Haut zu fahren. Maria fühlte unsere inneren Unstimmigkeiten und schwieg oft, was ich ihr hoch anrechnete. Allerdings fühlte sie sich dann auch schuldig und trank noch mehr.
Schon im Treppenhaus hörte ich mein Telefon klingeln. Das konnte nur heißen, Maria befand sich inmitten einer krisenhaften Phase und war überzeugt, dass ich ihr helfen könne.
Ich ruf schon zum dritten Mal an! rief sie in den Hörer.
Ich war einkaufen, sagte ich.
Du? Einkaufen?
Stell dir vor, ich habe einen neuen Wasserkessel gefunden!
(Den Fertigsalat erwähnte ich nicht.)
Hast du heute abend schon was vor?
Nein, sagte ich, ich bin erschöpft.
Schon wieder?
Das wird in Zukunft öfter passieren; ich musste die Pläne für einen Erweiterungsbau eines Supermarktes fertigstellen, damit hatte ich nicht gerechnet.
Und was bedeutet das?
Ich werde heute frühzeitig ins Bett gehen und, wenn möglich, lange und viel schlafen.
Das klingt, als würdest du mich nie wieder sehen wollen.
Maria! Was redest du! Ich wette, dass wir uns schon morgen treffen. Oder übermorgen.
Wann und wo?
Zum Beispiel nach der Beerdigung.
Bist du dann nicht wieder erschöpft?
Doch, antwortete ich, aber weil ich dann ja ausreichend geschlafen haben werde, werde ich auch die kommende Erschöpfung aushalten.
Wie kompliziert und umständlich du wieder bist!
Maria lachte.
Weißt du, dass du mich hiermit in einen Rotwein-Abend stürzt?
Maria! rief ich; so erpresserisch kannst du mit mir nicht reden.
Ja, Entschuldigung, ich nehme alles zurück.
Hast du eine Idee, wo wir am Wochenende hingehen könnten?
Zum Beispiel zu einer Ausstellungseröffnung, ich habe eine Einladung, sagte sie.
Ist das nicht ziemlich öde?
Ich muss hin, sagte sie, es ist ein Kollege, der zeigt seine eigenen Bilder.
Ach so. Muss ich da mit?
Es wäre schön, aber du musst nicht.
Ich bin dabei, sagte ich.
Das ist lieb von dir. Dann werde ich mich mal an den Fernseher klammern.
Es tut mir leid.
Ist schon gut, seufzte sie und legte auf. Durch das Telefonieren war ich ins Schwitzen geraten. Ich legte mein Hemd ab und wusch mir den Oberkörper. Dann öffnete ich das Fenster, schaltete das Radio an und nahm mir den Fertigsalat vor. Ich war in leicht bedrückter Stimmung. Ich erinnerte mich, dass ich schon als Kind oft das Gefühl hatte, dass das Leben der Menschen hoffnungslos veraltet war. Ich schüttete den Salat in eine Schüssel und gab etwas Salz, Öl und Essig dazu. Allmählich rutschte ich in eine angenehmere Stimmung. Aus dem Radio kam Klaviermusik von Chopin. Ich überlegte, warum es mir nicht möglich war, Maria gegenüber den Fertigsalat zu erwähnen. Ich wollte nicht der Mensch sein, der ich war. Am Abend allein einen Fertigsalat essen, das war unmöglich. Unter dem Einfluss des Regengeräuschs war mein Radio leiser und leiser geworden. Ich schaltete das Radio ab und den Fernsehapparat ein. Es lief gerade eine Dokumentation über die Armut der Landbevölkerung in Kolumbien. Wenig später sah ich, wie eine Zwölfjährige ein Kind auf die Welt presste. Als sie entbunden hatte, hielt man ihr den Säugling an die Brust. Ein Sprecher sagte, die junge Mutter kann nicht
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