Wer Blut vergießt
abschlägige Antwort aussprechen konnte, die ihr schon auf der Zunge lag, fuhr er fort: »Mein Name ist Duncan Kincaid. Sagen Sie ihm, dass ich ein Freund von Tam Moran bin.« Er war froh, dass er nicht seinen Scotland-Yard-Anzug trug – er bezweifelte doch sehr, dass er damit hier punkten könnte.
»Ich sehe mal eben nach«, sagte sie einen Deut weniger frostig und stand auf, um durch eine Tür zu verschwinden, hinter der Kincaid das Allerheiligste vermutete. Dabei ließ sie ihn zwei sehr lange Beine in einem sehr kurzen Rock sehen.
Einen Augenblick später war sie wieder da. »Caleb sagt, Sie können ihn sprechen.«
Es war nicht gerade der Gipfel der Freundlichkeit, aber Kincaid schätzte sich glücklich, überhaupt an diesem Zerberus vorbeigekommen zu sein.
»Danke.« Er schenkte ihr sein strahlendstes Lächeln, wenngleich er fürchtete, dass es in diesem Fall vergeudet war.
Der Mann, der ihm aus seinem Büro entgegenkam, um ihn zu begrüßen, war groß und schlank, mit sorgfältig gestutztem braunem Bart und einer Brille. Kincaid fand, dass er mehr nach Lehrer als nach Plattenproduzent aussah, obwohl er im Gegensatz zu Tam nach dem neuesten Trend und offensichtlich teuer gekleidet war. Schwarzes Hemd, schwarzes Seidenjackett, Designerjeans, hohe Stiefel. Kincaid kam sich dagegen in seinen GAP -Klamotten regelrecht abgerissen vor.
»Roxy sagt, Sie sind ein Freund von Tam«, sagte Caleb Hart, während er ihm die Hand schüttelte. »Sie haben ihn gerade um eine Stunde verpasst.«
»Nun ja, ich habe mich eben erst mit ihm zum Lunch getroffen. Deswegen bin ich hier.« Kincaid sah sich um, als Hart ihm einen Stuhl anbot – nicht vor seinem Schreibtisch, sondern in einer Sitzgruppe am anderen Ende des Raums, die im aktuellen Retro-Stil eingerichtet war. Goldene CD s und Poster von Bands – von denen Kincaid einige kannte – zierten Wände und Regale. Die ganze Einrichtung zeugte wie Harts Kleidung von gutem Geschmack.
Kincaids Interesse wuchs; er fragte sich, ob er Tams Begeisterung ernst genug genommen hatte. »Tam hat mich gebeten, mit Ihnen zu sprechen«, fuhr er fort. »Er erzählte mir von dem Video mit Andy Monahan und Ihrer Sängerin.«
»Ihr Name ist Poppy. Poppy Jones«, sagte Hart. Er sah Kincaid verständnislos und ein wenig ungehalten an. »Aber ich bin mir nicht sicher, wie ich Ihnen …«
»Mr Hart, nur um Missverständnisse zu vermeiden: Ich bin ein Freund von Tam, und ich kenne Andy. Aber ich bin auch Polizeibeamter. Ich möchte allerdings klarstellen, dass dieser Besuch absolut inoffizieller Natur ist.«
Hart erbleichte. »Wenn Monahan in irgendwelchen Schwierigkeiten steckt und Tam mir nichts davon gesagt hat …«
Kincaid hob die Hände. »Nein, das ist es nicht. Soweit mir bekannt ist, hat Andy Monahan sich nichts zuschulden kommen lassen. Aber Tam sagte, dass die Polizei Andy wegen eines Vorfalls im Pub am Freitagabend befragt habe; es ging um einen Mann, der ihm gegenüber ausfallend geworden war.«
»Der Mann, der ermordet wurde? Ich nehme jedenfalls an, dass er ermordet wurde – die Kriminalbeamtin, die zu uns ins Studio kam, hat sich da nicht so klar ausgedrückt.«
»Genau. Sein Name war Vincent Arnott. Tam hat Andy in die Stadt zurückgebracht, unmittelbar nachdem die Band an dem Abend ihr zweites Set beendet hatte, also kann Andy nichts mit Arnotts Tod zu tun haben. Aber da Andy die letzte Person war, die nach Kenntnis der Polizei an diesem Abend mit dem Opfer gesprochen hat, liegt Tam sehr viel daran, alle Unklarheiten auszuräumen, die ihm möglicherweise negative Publicity bringen könnten.«
»Da geht es ihm wie mir«, sagte Hart mit Nachdruck. »Aber ich sehe immer noch nicht, wie ich Ihnen helfen kann.«
»Als Tam mir erzählte, was passiert war, sagte er auch, das Pub in Crystal Palace – The White Stag, glaube ich? – sei Ihr Stammlokal. Deswegen dachte ich mir, dass Sie Arnott vielleicht schon einmal gesehen haben. Wenn er sich bei früheren Gelegenheiten auch so aufgeführt hat, würde das seine Auseinandersetzung mit Andy Monahan weniger … bemerkenswert erscheinen lassen.«
»Ah.« Hart wirkte nachdenklich. »Der Name sagte mir nichts, und die Polizeibeamtin hat mir kein Foto gezeigt. Tam hat ihn mir auch nicht beschrieben.«
Kincaid konnte ihm schlecht das Foto zeigen, das Gemma ihm aufs Handy geschickt hatte, also sagte er: »Laut Tam ist er um die sechzig, gutaussehend, mit auffallenden weißen Haaren.«
»Klar, dass Tam darauf achtet, ob ein Mann gut
Weitere Kostenlose Bücher