Wer Blut vergießt
davonrannten.
Andys Wangen glühten vor Scham, als er sagte: »Mr Patel, ich habe nicht …«
»Ich weiß, dass du nicht angefangen hast, Andy. Aber du solltest dich von diesen Jungen fernhalten. Die machen nur Ärger.« Er schnalzte noch einmal missbilligend mit der Zunge und verschwand in seinem Laden.
Danach spielte Andy auch nicht mehr auf den Stufen vor dem Haus auf seiner Gitarre. Er spielte im Zimmer, oder auf den Stufen hinter dem Haus, die in den vernachlässigten Garten führten, wenn es dort ein bisschen Schatten gab. An den meisten Tagen wartete er immer noch auf Nadine, doch er musste feststellen, dass er nicht mit ihr reden konnte, ohne ständig zur Straßenecke zu schielen und nach diesen inzwischen allzu vertrauten Silhouetten Ausschau zu halten.
Eine ungewohnte Verlegenheit schlich sich in ihre Begegnungen ein. Wo sie zuvor so unbefangen geplaudert hatten, entstanden jetzt lange Pausen, die er nicht zu füllen wusste.
»Andy, ist alles in Ordnung?«, fragte Nadine eines Nachmittags. »Mir fehlt deine Musik. Obwohl ich dich manchmal in meiner Küche hören kann, wenn du auf der Hintertreppe spielst.«
Er zuckte mit den Achseln. Er wusste, dass er ihr den wahren Grund nicht verraten durfte. »Es ist heiß, da schwitzen meine Hände. Am Nachmittag gibt es hinter dem Haus wenigstens ein bisschen Schatten.«
»Ach so, ja.« Nadine rieb sich den Finger an ihrer linken Hand. Es war, vermutete Andy, die Stelle, wo sie früher ihren Ehering getragen hatte, und ihm fiel auf, dass sie das immer tat, wenn sie nachdachte. Oder wenn sie unglücklich war. Er wusste, dass sie ihm nicht glaubte.
»Ich könnte später noch rauskommen«, sagte er rasch. »Wenn es dunkel wird. Ich brauche nicht viel Licht zum Spielen.« Er hatte die Jungen noch nie nach Sonnenuntergang gesehen. Nur nachts fühlte er sich sicher vor ihnen. »Da ist es auch kühler.«
»Abgemacht.« Sie lächelte, und er hatte das Gefühl, dass ihm noch einmal eine Gnadenfrist gewährt worden war. »Dann mache ich uns für später Limonade und Sandwichs, ja?«
Der Duft der Geranien wurde stärker, als die Abenddämmerung hereinbrach. Nadine hatte sie fleißig gegossen, bis sie über den Rand der Töpfe wucherten und sich über die Stufen ergossen. An diesem Abend trug sie ein weißes Kleid, und im Zwielicht sah es aus, als sei der Stoff mit dunkelrotem Blut bespritzt.
Sie hatte nicht nur wie versprochen Limonade und Sandwichs mitgebracht, sondern auch eine Kerze, und nachdem sie gegessen hatten, spielte Andy im flackernden Schein der Flamme.
Er hatte an einer Version von Dave Brubecks »Take Five« gearbeitet, aber es war das erste Mal, dass er vor Nadine etwas so Schwieriges spielte. Nach den ersten paar Takten vergaß er seine Nervosität und verlor sich in der Musik.
Als er geendet hatte, blickte er auf und grinste. »Da fehlt natürlich die Rhythmussektion.«
»Wie hast du das gelernt?« Sie schien tief beeindruckt, und Andy befingerte in plötzlicher Verlegenheit die Saiten der alten Höfner.
»Durch Zuhören. Von einer der alten Platten meines Vaters.« Er konnte sich keine neuen CD s leisten, nur ab und zu kaufte er sich etwas in einem Secondhandladen oder auf dem Flohmarkt.
»Andy«, sagte Nadine gedehnt, »du sagst ›durch Zuhören‹, als ob jeder das könnte. Du weißt doch, dass das nicht so ist, oder?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich hab mir aus dem Antiquariat ein paar Gitarrenbücher besorgt, deshalb weiß ich, wie die Akkorde heißen. Aber die Stücke in den Büchern sind doof. Es macht mehr Spaß, wenn ich mir Sachen anhöre, die mir gefallen, und es dann so hinzukriegen versuche, dass es genauso klingt.«
Nadine war so lange still, dass er schon glaubte, er hätte sich wie der letzte Idiot angehört. »Ich schau mir auch Musikvideos an«, schob er noch nach, »damit ich sehen kann, wie die richtigen Gitarristen es machen. Aber Zuhören ist besser.«
»Andy …« Diesmal war es Nadine, die den Kopf schüttelte. Sie hatte ihr dichtes, kastanienbraunes Haar hochgebunden, um ihren Nacken in der Hitze zu kühlen, doch eine lose Strähne schwang bei der Bewegung hin und her. »Du hast eine besondere Gabe«, sagte sie so ernst, wie er sie noch nie gehört hatte. »Und es gibt niemanden, der …« Sie brach ab, und irgendwie wusste er, dass sie im Begriff gewesen war, ein Thema anzusprechen, das sie beide tunlichst mieden – seine Mutter.
Nadine bekam manches mit – wie konnte es auch anders sein, da sie schließlich
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