Wer den Tod begruesst
Liebling.
16
Am frühen Abend des nächsten Tages fuhr Nolan vom Sender aus über die Okeechobee Richtung Osten.
»Ich muss kurz bei E.D.E.N. vorbeischauen«, erklärte er.
Trotz seiner demonstrativen Gefühllosigkeit und Jillians widerstreitenden Gefühlen hatten sie es schließlich geschafft, vorübergehend und unausgesprochen einen Waffenstillstand zu schließen. Oh ja, und sie hatten ein bisschen geknutscht in einem ihrer schwächsten Momente. Das wollen wir nicht vergessen.
Genau genommen: Gäbe es nicht das verstärkte Interesse der Polizei von Palm Beach wegen der jüngsten Drohnachricht, hätte Jillian den größten Teil ihrer Zeit damit zugebracht, über Garrett und die beunruhigende Wirkung, die er auf sie ausübte, nachzudenken.
Vielleicht war sie einfach verrückt vor Angst.
Sie presste die Finger an die Schläfen und dachte an die Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter vom Abend zuvor. Bald, Jillian. Bald weint er in seiner Not.
Ja. Vielleicht war sie verrückt vor Angst. Jedenfalls hatte sie Angst.
»Kopfschmerzen?«
Na, toll. Besorgnis.
Sie schüttelte den Kopf.
Wann immer er Besorgnis äußerte – was zugegebenermaßen nicht häufig der Fall war –, überraschte es sie. So wie es ihn überraschte, wenn sie sein Stirnrunzeln richtig deutete. Er wollte keine anderen Gefühle zeigen als diesen perfekten Bodyguard-Gleichmut.
Das alles trug nur noch mehr zu ihrer Verwirrung bei, weil sie ihn immer noch für einen Mistkerl hielt. Aber er war ein toll aussehender Mistkerl, und von Zeit zu Zeit bewies er erstaunliche Intuition, Mitgefühl und, wie gerade eben, Besorgnis. Obgleich er das nicht wollte. Was ihn aus irgendeinem Grund in ihren Augen eher noch ein klein wenig liebenswerter machte.
Liebenswerter? Du liebe Güte. Das bewies es endgültig. Sie war vor Angst verrückt geworden.
Garrett war neben ihr ebenfalls in Schweigen versunken, und sie fragte sich, ob ihn die gleichen Gedanken Umtrieben wie sie. Auf dem Palm Beach Lakes Boulevard bog er links ab und hielt vor einem hohen Bürogebäudekomplex, dem Forum, wo E.D.E.N. Security, Inc., Büroräume hatte.
Obgleich sie genörgelt hatte, ihre Zeit für diesen Abstecher zu verschwenden, war sie heimlich neugierig, die anderen Garretts kennen zu lernen. Sie hatte noch weiter recherchiert. Alle waren sie wohl sehr ehrgeizig.
»Na, wenn das nicht der verlorene Sohn ist.« Eine hübsche, kleine Blondine mit einem strahlenden Lächeln und großen, blauen Augen begrüßte sie, als sie eintraten.
»Hallo, kleiner Bruder«, fuhr sie fort, bevor sie Jillian mit denselben blauen Augen wie ihr Bruder ansah. »Und Sie sind Ms. Kincaid. Ich bin Eve, Nolans Schwester. Ich sehe mir immer Ihre Nachrichten an. Sie sind fantastisch. Toller Anzug«, bewunderte sie Jillians eng sitzenden, zweiteiligen Hosenanzug aus malvenfarbener Seide.
Jillian erwiderte das freundliche Lächeln und den festen Händedruck. »Bitte nur Jillian. Und danke.«
Nach ihren Informationen war Eve die Macherin der Gruppe. Sie war vom Secret Service gekommen, und bevor sie sich auf Personenschutz konzentriert hatte, war sie auf Geldwäsche spezialisiert gewesen und kannte sich hervorragend mit Computerprogrammen aus, weshalb die Firma auch Fälle von Wirtschaftskriminalität übernehmen konnte.
»Also, wie behandelt der Grobian Sie?«, fragte Eve, während sie den Grobian umarmte und ihm einen dicken, feuchten Kuss auf die Wange platzierte.
Jillian war gleichermaßen entzückt von Eves ungezwungener Zuneigung wie von Nolans Art, sie zu tolerieren. Er verdrehte die Augen und tat, als wäre er verärgert, obgleich er seine Schwester in die Arme gezogen hatte und an sich drückte.
»Hau ab, du Kindskopf«, schimpfte er und schob sie von sich, wobei seine Stimme jedoch liebevoll klang. »Du verschmierst mir noch das Hemd mit Make-up.«
»Eine kleine Aufhellung könnte dir nicht schaden«, gab Eve zurück und zwinkerte Jillian zu. »Meinen Sie nicht auch?«
Jillian fand eigentlich, dass Schwarz ihm sehr gut stand, nickte aber, einfach um ihn zu provozieren.
»Ich bin nicht wegen einer Modeberatung hergekommen oder um von dir misshandelt zu werden«, knurrte er. »Hast du Informationen für mich?«
»Habe ich Ethan gegeben. Kommt mit. Wir wollten gerade eine kurze Besprechung abhalten. Jillian kann dann gleich den Rest des E.D.E.N. Braintrust kennen lernen.« Eve ging voraus den Flur hinunter, und sie folgten ihr.
»Habe ich schon erwähnt, dass meine Schwester eine ziemlich
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