Wer den Tod begruesst
irgendjemand ihre optimistischen Hoffnungen mitbekam –, ihm zu helfen. Es ging darum, das Leben eines Menschen zu verändern. Es ging um das, was einen guten Menschen ebenso wie eine gute Fernsehreporterin ausmachte, um Integrität.
Als er auf ihr Klopfen hin die Tür geöffnet und seine geisterhaften, grauen Augen sie mit diesem gnadenlos leeren Blick angesehen hatten, fragte sie sich jedoch ehrlich, ob sie sich nicht etwas vormachte, indem sie glaubte, ihm mehr helfen als ihn verletzen zu können.
»Wie fühlen Sie sich, John, wenn niemand Ihnen einen Job geben will, weil Sie keine Sozialversicherungsnummer und keinen Personalausweis haben?«
Nolan stand schweigend im Hintergrund und beobachtete das Frage-und-Antwort-Spiel zwischen Jillian und ihrem »Vergessenen Mann«, John Smith. Seit gut einer Stunde versuchte er, Smith’ Reaktion auf Jillians Fragen zu durchschauen. Der arme Hund war verdammt eigenartig. Nicht so sehr in seinem Äußeren. Es gab nichts Bemerkenswertes an ihm; er war so nichts sagend wie eine Papiertüte, bis auf seine Augen. Wer auch immer behauptet hatte, dass die Augen das Fenster zur Seele eines Menschen seien, hatte nie diesen Mann kennen gelernt. In dieser Hinsicht gaben die Augen wenig preis. Sein Mangel an Gefühlen war erschreckend.
Bisher hatte Nolan mehr über Jillian als über Smith erfahren. Und sein Respekt vor ihrer Professionalität war wieder etwas gestiegen.
Sie ging sehr rücksichtsvoll vor bei Smith. Nahm Rücksicht auf seine Gefühle und stellte behutsame Fragen. Es war ihr wirklich wichtig, dass er sich wohl fühlte, sogar wenn sie nachbohrte. Dass sie sich etwas aus ihm machte, hatte Nolan schon frühzeitig bemerkt. Nicht nur als interessantes Thema, sondern als Mensch, der viel gelitten und erduldet hat. Sie näherte sich ihm nicht nur als Journalistin, sondern als Mitmensch, dem sein Wohlergehen am Herzen lag. Sie wollte ihm helfen.
»John«, hakte Jillian freundlich nach, als einige Augenblicke vergangen waren und er auf ihre Frage nicht reagiert hatte. »Wie fühlen Sie sich dabei?«
Smith schien aus einer Halbtrance aufzuwachsen. »Wie soll ich mich denn fühlen?«, fragte er, starrte aber nicht Jillian, sondern die Wand hinter ihr an. »Wütend? Abgelehnt?« Er zuckte die Achseln, eine eher apathische Geste als eine Reaktion. »Was ändert das schon? Es ist das Gesetz. Dagegen kann ich nichts machen. Ich möchte es auch nicht länger versuchen.«
So lange ununterbrochen hatte Smith nicht geredet, seit sie mit dem Interview begonnen hatte. Nolan sah den Widerstreit von Aufregung und Geduld in Jillians Blick. Sie hoffte, dass es vielleicht der Beginn eines Durchbruchs wäre.
Ihren Blick fest auf Smith gerichtet, beugte sie sich leicht zu ihm vor; er saß auf der Kante eines ungemachten Bettes, die Füße flach auf dem Boden, die Hände um die Knie geklammert.
»Ich verstehe Ihre Frustration …«
»Nein.« Smiths Kopf fuhr herum, als er Jillian unterbrach und sie ansah. In diesem Moment wich seine Indifferenz blitzartig rasender Wut – eine Wut, die er vergeblich in den Griff zu kriegen versuchte, indem er lange und tief durchatmete. »Niemand kann das verstehen, Ms. Kincaid. Glauben Sie ja nicht, dass irgendjemand – nicht einmal Sie – es verstehen kann.«
Bitterkeit. Wut. Groll.
Nolan spürte diese Empfindungen ganz stark – hatten sie etwas mit seiner Anwesenheit zu tun? Oder galten sie Jillian?
»Dann helfen Sie mir zu verstehen, John«, sagte sie nach längerem Schweigen. »Sagen Sie mir, was Sie dabei fühlen.«
»Ihnen sagen, wie es sich anfühlt, wenn jemand mich John nennt, und zu wissen, dass das nicht mein Name ist?« Seine Stimme wurde lauter. »Ihnen sagen, wie es sich anfühlt, wenn ich mein Spiegelbild in einem Fenster sehe und nur das Gesicht eines Fremden erkenne?« Er ballte die Hände auf seinen Knien zu Fäusten. »Sagen Sie mir, was Sie von mir hören wollen. Ich sage es. Und dann können Sie gehen.«
Nolans Pulsfrequenz beschleunigte sich abrupt, und er trat schnell neben Jillian, während sich Schweigen über den Raum senkte nach Smith’ Rede, schwer von zerstörerischer Wut.
Von apathisch zu aktiv innerhalb einer Sekunde. Smith war stinksauer. Seine geisterhaften, grauen Augen funkelten wütend.
»Das war’s hiermit«, verkündete Smith abrupt.
»Ich habe Sie verärgert.«
Nichts.
»John – ist Ihnen klar, dass ich versuche, Ihnen zu helfen?«
Himmel. Warum ließ sie ihn nicht einfach in Ruhe? Jeder hier im
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