Herzensbrecher auf vier Pfoten
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A nfang Februar hatte Rachel Fielding noch eine mittelprächtige bis blendende Karriere als PR-Beraterin für Internetfirmen vor sich, und sie hatte einen Freund, der ihr regelmäßig Blumen schenkte und besser gekleidet war als sie selbst. Außerdem sah ihre Haut drei Jahre jünger aus, als ihr tatsächliches Lebensalter – neununddreißig Jahre – war.
In der zweiten Februarwoche jedoch hatte sie es durch ein einziges Manöver geschafft, nicht nur die Liebe ihres Lebens, sondern auch noch ihre Wohnung in Chiswick sowie ihren Job zu verlieren. Als sei das nicht schon genug, hatte Rachel an jenem Morgen auch noch ihr erstes graues Haar, das schon von Weitem aus ihren dicken schwarzen Haaren herausstach, entdeckt und obendrein auch noch eine SMS von ihrer Schwester Amelia erhalten, in der diese ihr vorwarf, den fünften Geburtstag ihrer kleinen Nichte vergessen zu haben; denn »nur, weil man selbst keine Kinder habe, hieße das nicht, dass man so verdammt egoistisch sein müsse!«.
Der Rausschmiss, der Laufpass oder das graue Haar an sich wäre schon traurig genug gewesen. Alle drei Ereignisse zusammengenommen waren jedoch eine größere, härtere Strafe, als jemand ertragen konnte, der es durchaus gewohnt war, schlechte Neuigkeiten zu übermitteln. Rachel wünschte sich, ja, sehnte sich geradezu danach, mit dem Gesicht voran in eine Lache von Baileys-Eiscreme einzutauchen und der Musik von Joy Division zu lauschen. Stattdessen saß sie nun aufeinem Plastikstuhl in der Kanzlei eines Notars in Longhampton – einer Stadt, in der der Bau eines neuen Edel-Supermarktes immer noch zu einem der heißesten Gesprächsthemen zählte. Hier also saß Rachel und lauschte einem Vortrag zum Thema Erbschaftssteuer von einem Mann im besten Alter, der sie mit »Miss Fielding« ansprach und jeden zweiten Satz mit »ich für meine Person« begann.
Rachel hatte gerade einen, wie Gerald Flint es nannte, »erfreulicherweise recht umfangreichen Grundbesitz« geerbt, doch alles, woran sie momentan denken konnte, war die Tatsache, dass sie wie ihre kürzlich verstorbene Tante Dot einem Lebensabend inmitten von Hundehaaren und Fertiggerichten für eine Person entgegensteuerte. Bei jedem Versuch, sich auf ihre neue Rolle als Erbschaftsverwalterin und Alleinerbin von Dots Nachlass zu konzentrieren, der aus einem Haus, Zwingern, Hunden, mehr Hunden und sogar noch mehr Hunden bestand, tauchte vor Rachels geistigem Auge wie ein Bildschirmschoner für Masochistinnen Olivers böser Blick auf: seine Miene, eingefroren in just dem Moment, als sie ihn mit den von ihr per Zufall gefundenen Rechnungen und Quittungen konfrontiert hatte. Dieser Blick beinhaltete Schock, dann Angst, und schließlich zu ihrem großen Entsetzen den Anflug von einer seiner Eigenschaften, die sie mittlerweile als Selbstgefälligkeit entlarvt hatte.
»Können Sie mir folgen, Miss Fielding?«
Rachel schüttelte sich und konzentrierte sich wieder auf die Besprechung. Jetzt reiß dich mal zusammen , ermahnte sie sich. Er ist fort. Du bist hier. Allein das ist jetzt wichtig.
»Ich bin ganz bei Ihnen, Mr. Flint«, erwiderte Rachel und pochte mit dem hinteren Ende ihres Stifts auf den Notizblock. »Nein, eigentlich stimmt das nicht. Könnten Sie bitte noch einmal kurz wiederholen, was ich als Erbschaftsverwalterin genau zu tun habe?«
Gerald saß an seinem Schreibtisch unter einer großen Fotoleinwand, auf der seine vier eulenhaften Enkelkinder porträtiert waren. Rechts von ihm saß eine blonde Frau Mitte zwanzig, der offenbar die Leitung von Dots Hundezwingern oblag. Neben ihr hockte ein kläglich dreinblickender schwarz-weiß gefleckter Border Collie.
Rachel wollte beim besten Willen nicht mehr einfallen, warum der Hund hier war. Doch innerhalb der Familie war Dot geradezu berühmt-berüchtigt gewesen für ihre vollkommen übergeschnappte Einstellung Hunden gegenüber. (»Übergeschnappt« lautete die knappe Diagnose von Rachels Mutter Val; Rachel selbst fand Dots Verhalten jedoch gar nicht so verrückt, wenn sie dieses mit Vals eigenem, völlig übertriebenen Hygienefimmel verglich.) Insofern also war es durchaus möglich, dass auch der Hund als Erbschaftsverwalter eingesetzt war.
Gerald missinterpretierte Rachels von den Erinnerungen an Oliver ausgelöste innerliche Leere als Trauer über den schmerzlichen Verlust der Tante. »Es ist eine ganze Menge, was es nun für Sie zu verinnerlichen gilt, aber ich für meinen Teil bin schließlich auch noch hier und will
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