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Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Titel: Wer hat Angst vorm boesen Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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drehte sich um und zeigte gen Himmel.
    Skarre sah besorgt zu dem Flugzeug hinauf. Seine Phantasie machte wilde Sprünge.
    »HAT JEMAND EINEN SPIEGEL?« Morgan versuchte, seine Nase in den Blick zu bekommen. Dabei schielte er gewaltig.
    »Wer Freunde hat, braucht keinen Spiegel«, nuschelte Errki drüben beim Schrank.
    Morgan sah Kannick an. »Dieser Mann hat eine dermaßen große Klappe, es ist nicht zu fassen.«
    »Ich habe einen im Koffer«, sagte Kannick leise. Es fiel ihm noch immer schwer, Errki in die Augen zu schauen. Vielleicht überlegte der ja gerade, auf welche gemeine Weise er ihn umbringen könnte. Er hatte so einen seltsamen
    Gesichtsausdruck.
    »Dann hol ihn, Errki«, befahl Morgan.
    Errki schwieg. Er fühlte sich angenehm dösig und müde. Morgan gab auf. Er ging auf die Treppe hinaus, wo der Koffer stand, und zog Koffer und Bogen ins Haus. Wühlte zwischen Pfeilen und anderen Ausrüstungsgegenständen herum und fand den Spiegel. Klein, quadratisch, vielleicht zehn Quadratzentimeter groß. Zögernd hielt er ihn sich vor das Gesicht. »O Scheiße. So was Schreckliches gibt’s überhaupt nicht!«
    Kannick hatte sich noch nicht überlegt, daß Morgan seine Nase ja nicht sehen konnte. Aber es stimmte schließlich. Die Nase bot einen grauenhaften Anblick.
    »Die ist entzündet, Errki! Ich hab’s ja gewußt!« Den Spiegel in der Hand, trampelte Morgan durch das Zimmer.
    »Die ganze Welt ist entzündet«, murmelte Errki. »Krankheit, Tod und Elend.«
    »Wie lange dauert es, bis Wundstarrkrampf einsetzt?« fragte Morgan. Seine Hand zitterte so heftig, daß der Spiegel wackelte.
    »Mehrere Tage«, sagte Kannick unsicher.
    »Bist du sicher? Hast du Ahnung von so was?«
    »Nein.«
    Morgan seufzte wie ein schmollendes Kind und ließ den Spiegel fallen. Der Anblick seiner Nase war einfach zuviel für ihn. Sie tat nicht mehr so weh, und ihm war auch nicht mehr so schlecht. Er war einfach nur schlapp, aber das hatte andere Gründe. Den Mangel an Wasser und Lebensmitteln, zum Beispiel. Er mußte an etwas anderes denken. Er starrte Kannick an und kniff die Augen zusammen. »Du hast also einen Mord beobachtet? Erzähl mal. Was war das denn so für ein Gefühl?«
    Kannick riß die Augen auf. »Nein, beobachtet hab ich ihn nicht.«
    »Nicht? Im Radio haben sie das aber gesagt.«
    Kannick schien sich zu ducken, er flüsterte: »Ich habe nur gesehen, wie er weggelaufen ist.«
    »Ist dieser Mann hier im Saal anwesend? Heb eine Hand und zeig ihn den Geschworenen«, sagte Morgan feierlich.
    Kannick rang die Hände. Nie im Leben würde er auf Errki zeigen.
    »Mußtest du bei der Polizei plaudern?«
    »Ich habe nicht geplaudert. Sie haben mich ausgefragt. Ob ich etwas gesehen hätte. Ich habe bloß Fragen beantwortet«, verteidigte er sich.
    Morgan mußte sich bücken, um ihn verstehen zu können. »Red nicht drumrum. Natürlich hast du geplaudert. Hast du die Oma gekannt?«
    »Ja.«
    Errki hatte den Kopf auf die Seite gelegt. Er schien zu schlafen.
    »Er konnte nichts dafür«, sagte Morgan. »Er ist nicht klar im Kopf.«
    »Nicht klar?«
    »Er kann sich nicht einmal daran erinnern.«
    »Kann er sich an gar nichts erinnern?«
    »Vielleicht weiß er nicht einmal, daß ich ihn als Geisel genommen hab, als ich heute morgen die Fokusbank ausgeraubt hab.« Er grinste den Jungen an. »Er stand genau an der richtigen Stelle, und ich brauchte ihn, um fliehen zu können. Weißt du was?« Morgan kicherte.»Eine Bank zu überfallen und eine Geisel zu nehmen, das ist, wie ein Überraschungsei zu kaufen. Manche haben Glück und kriegen eine ganze Figur. Ich hab nur lauter lose Teile erwischt, die absolut nicht zusammenpassen.«
    Er vergaß für einen Moment seine Nase und lachte leise.
    »Er kann sich an nichts erinnern. Und außerdem handelt er nur auf Befehl seiner inneren Stimmen. Aber davon hast du keine Ahnung. Errki sollte uns leid tun. Weißt du«, das fiel ihm plötzlich ein, er setzte sich auf den Boden und starrte Kannick mit ernster Miene an, »als ich klein war, bin ich in den
    Kindergarten gegangen. Jeden Morgen gab es eine Art Versammlung. Wir saßen auf dem Boden im Kreis, und die Kindergärtnerinnen sangen oder lasen vor. Wir hatten eine Übung«, bei der Erinnerung verzogen seine Lippen sich zu einem Lächeln, »bei der mußten wir einen Gedanken fangen. Die Kindergärtnerin schaute uns tief in die Augen, und dann flüsterte sie: Denk einen Gedanken. Und wir dachten, daß die Schwarte nur so krachte. Dann schrie sie:

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