Wer hat Angst vorm boesen Wolf
ausgeraubt habe, daß die Geisel gesund und munter sei oder mit zerschossenem Kopf in einem Straßengraben liege. Möglich war alles. Und gerade dieses Nichtwissen war so aufregend, die Tatsache, daß keine zwei Tage gleich waren. Sie konnten jemanden finden, der an einem Baum hing. Oder vor dem Baum saß, erschöpft, glücklich darüber, endlich entdeckt worden zu sein. Oder gestorben an einer Überdosis. Danach kam dann die Erlösung. Die Spannung ließ nach. Doch das hier war etwas
anderes. Zwei Menschen auf der Flucht, vermutlich verzweifelt.
Spuren suchen!
Das magische Wort! Sofort legten die Hunde los. Einige Minuten lang rannten sie am Anfang des Weges hin und her. Aber ziemlich bald jagten sie weiter, ganz und gar erfüllt von ihrer Aufgabe, dem Geruch zu folgen, den sie im Auto gefunden hatten. Ellmann flüsterte: »Es gibt kaum noch Zweifel. Die Hunde haben Witterung genommen.«
Die anderen nickten. Die Hunde führten sie mit ihrer beeindruckenden Muskelkraft den Hang hinauf. Keiner war angeleint, Sharif führte. Die Männer liefen keuchend hinterher, sie schwitzten in ihren Overalls. Die Hunde blieben dicht zusammen. Sie hatten vor dem Einsatz ausgiebig getrunken und zeigten eine Ausdauer, für die die Männer sie nur bewundern konnten. Auch sie waren zwar durchtrainiert, dafür sorgte schon die Arbeit mit den Hunden. Jahr um Jahr knochenhartes Training. Aber diese verdammte Hitze laugte sie aus. Wie weit sie wohl schon gekommen waren?
Der Wald wirkte tot, und doch schien er nach Wasser zu schreien. Sie hatten Karten, sahen, wohin die Wege führten, in welcher Richtung die alten Rodungsstellen lagen. Einer der Männer durchwühlte seine Tasche nach einem Kaugummi. Er ließ Nero nicht aus den Augen. Dessen Schnauze jagte von einer Seite zur anderen, ein seltenes Mal machte sie Abstecher, beschrieb einen kleinen Kreis und schien kehrtmachen zu wollen. Aber dann lief er doch weiter. Sharif führte noch immer an. Er war schwarz an Kopf und Rücken, sein Fell glänzte in der tiefstehenden Sonne. Sein Schwanz sah aus wie eine goldene Fahne, seine Pfoten waren breit und kräftig. Die Männer konnten sich nichts Schöneres vorstellen als einen gepflegten Schäferhund. Der Schäferhund war der Hund an sich, so hatte ein Hund auszusehen. Nach fünfzehn Minuten wechselten sie und gaben Zeb die Führung. Sofort erwachte der Konkurrenzinstinkt, und die Hunde rissen sich zusammen.
Trotzdem ließ die Konzentration allmählich nach, ihre Schwänze senkten sich, sie schnupperten nicht mehr so eifrig. Nero und Sharif wollten weiter und zurück zugleich. Die Männer ließen sich Zeit. Sie nutzten die Gelegenheit, um nach dem anstrengenden Aufstieg ein wenig auszuruhen. Sie hatten eine Hügelkuppe erreicht. Von hier aus konnten sie Hauptstraße und Mautschranke sehen.
»Wetten, daß sie hier eine Pause gemacht haben?« sagte Sejer leise.
Die anderen nickten. Hier hatten die beiden gestanden und auf Schranke und Streife hinabgeblickt. Danach waren sie weitergegangen. Aber in welche Richtung?
»Hier liegt eine Kippe.«
Skarre hob sie auf. »Selbstgedreht. Blättchen von Big Ben.«
Er steckte die Kippe in eine Plastiktüte, und die verstaute er in seiner Tasche. Er suchte weiter, fand aber nichts mehr.
»Wir lassen Zeb führen und die anderen Kreise ziehen«, schlug Ellmann vor.
Nero und Sharif liefen in Schlingen von etwa fünfzig Metern hin und her. Zeb trabte geradeaus weiter. Seine Signale waren undeutlich. Er wirkte nicht mehr so eifrig, er blieb ab und zu stehen und schien überhaupt unkonzentriert zu sein. Die Männer blickten zurück. Nicht in Richtung des kleinen Hofes, wo ein Mord begangen worden war. Sondern vielleicht zu den Rodungen hinüber? Bei dieser Hitze konnten die Gesuchten sich doch durchaus in einer alten Almhütte ausgeruht haben. Dann würden die Hunde dort klarere Spuren finden als im trockenen Gelände.
Es war sehr still in dem tiefen Wald, im Herbst war hier mehr Leben, durch Jäger und Beerensammler. Bei dieser Hitze machte man nur eine Waldwanderung, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Oder wenn man dafür bezahlt wurde. Oder von unheilbarer Abenteuerlust geplagt war, die im Blut saß wie winzige Ameisen, die niemals Ruhe geben.
Sejer fuhr sich über die Stirn und griff nach seiner Waffe. Beim Schießtraining war er meistens gut, aber er hatte so eine Ahnung, daß das bei einem eventuellen Schußwechsel keine große Rolle spielen würde. Und das machte ihm Sorgen. Eine einzige
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