Wer lügt, gewinnt
wunderbar, oder es ist ein grauer, verregneter Tag, egal, er ist ebenso wunderbar, man könnte mit der Frau, die man liebt, schlafen, ein Kind zeugen, ein Buch schreiben, einen Baum pflanzen, sich in die Sonne legen, in den Regen, aber man tut nichts, weder liebt man noch schreibt oder pflanzt man etwas, man vergeudet den Tag einfach, man wirft den Tag auf den Müll, geht zur Bank, bringt den Wasserhahn in Ordnung, redet mit dem Mann, der den Strom abliest, man ärgert sich über das Telefon, das nicht richtig funktioniert, wirft den Tag auf den Müll, und um fünf Uhr nachmittags, peng, stirbt man. Keiner hat einem Bescheid gesagt, daß dies der letzte Tag sein würde.
Auf dem Kommissariat zeigten sie mir eine Reihe von Fotos, fragten mich, ob ich irgendeines der Gesichter wiedererkennen würde. Niemanden, sagte ich. Auch nicht diesen Mann? Ich weiß nicht, wer das ist, antwortete ich. Goycochea, Spitzname Jack, sagte der Kommissar, wir sind seit einem Jahr hinter ihm her, er ist einer der größten illegalen Schlangengifthändler Südamerikas. Er liefert Gift nach Deutschland, Israel, Japan und in die Vereinigten Staaten. Sind Sie sich sicher, daß Sie diesen Mann noch nie gesehen haben? Ja, sagte ich, ich bin mir sicher. Ihr Angestellter, Raimundo, hat ihn schon zweimal auf der Fazenda gesehen, wir haben seine Aussage hier vorliegen. Ich fahre nie auf die Fazenda, sagte ich.
Der Kommissar erzählte mir, daß Goycochea und Fúlvia am Tag ihres Verschwindens eine Verabredung gehabt hätten. Ein auf der Fazenda beschlagnahmter Kalender enthielt sehr eindeutige Notizen, am zwanzigsten, um sechzehn Uhr, Praça Panamericana, Goycochea, sehen Sie? sagte er. Ein Parkplatzwächter hatte versichert, eine Frau, auf die die Beschreibung von Fúlvia paßte, im Gespräch mit zwei Männern gesehen zu haben. Wußten Sie von den Aktivitäten Ihrer Frau? Nein, sagte ich. Ihre Informationen können uns zu dem Mörder Ihrer Frau führen, sagte er. Ich weiß von nichts, sagte ich. Leugnen, bis man schwarz wird.
Beim Hinausgehen sah ich, wie Laércio sich mit den Journalisten unterhielt, die dort herumlungerten. Guber, sagte er, ich hörte gar nicht hin, Guber, schrie er, ich stieg ins Auto und raste davon.
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Ich bin noch nie ein großer Fan von Schiffen gewesen, aber nach Fúlvias Beerdigung und all den deprimierenden Ereignissen fand ich, daß es eine gute Idee sei, ein paar Tage auf einer schwimmenden Insel zu verbringen, weit weg von allem, unerreichbar, wo man von nichts und niemandem etwas mitbekam. Ingrid war von dem Gedanken ebenfalls angetan.
In den ersten Tagen verlief alles ruhig. Ingrid war ziemlich wortkarg, hatte zu nichts Lust, aber wir hatten trotzdem unseren Spaß, gingen schwimmen, sonnten uns, ich schaute mir die Frauen an, die auf so einem Schiff reisen, mit den entsprechenden Gesichtern, den entsprechenden Klamotten, den entsprechenden Ehemännern, es war unterhaltsam, ich dachte schon gar nicht mehr an Fúlvias Tod. In Wahrheit verspürte ich Erleichterung und eine gewisse Dankbarkeit gegenüber Goycochea, dem illegalen Händler aus Uruguay, wie gut, dachte ich, wenn man niemanden umgebracht hat, wie schön, frei zu sein, Erfolg zu haben, schwimmen zu gehen, Bücher zu schreiben, Bücher zu verkaufen, mit Ingrid zu schlafen, eine Schiffsreise zu unternehmen, frei von Schuld, nur Sonne, Swimmingpool, Sauna und harmlose Gespräche mit den Geldsäcken, die mich umgaben.
Alles verlief passabel, bis zu dem Tag, als der Kapitän uns während eines prächtigen Abenddiners erzählte, daß ein Hai dem Schiff folgte. Die Frauen an unserem Tisch wurden nervös, den Männern gefiel es, ein Hai, sagten sie, einige gingen an Deck, warum töten wir den Hai nicht? schlug ein Kinderarzt vor. Als wir in unsere Kabine zurückkehrten, war Ingrid unruhig, lief umher, setzte sich, stand auf, ich weiß nicht, inwieweit man an einen Zufall glauben darf, sagte sie, aber kannst du dich noch an Fúlvias Lieblingsgeschichte erinnern? Ich konnte mich nicht dran erinnern. Du hast mir davon erzählt, sagte sie, von diesem Buch, das auf dem Meer endet. Ich konnte mich immer noch nicht dran erinnern. Fúlvias Lieblingsgeschichte endet damit, daß die beiden Mörder sich in einem Boot auf dem Meer befinden und die Flosse eines Haifischs sie umkreist. Und? Wo ist das Problem, Ingrid? fragte ich. Schon gut, sagte sie, mir kam nur dieser Hai merkwürdig vor.
In dieser Nacht fand Ingrid keinen Schlaf. Als ich im Morgengrauen wach wurde, stand
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