Wer mit Hunden schläft - Roman
gesehen, Kreisky. So wie er dann auch wirklich dort gehangen ist. Das ist einer meiner besten Kunden!, hat er jedem, der es nicht wissen wollte, gesagt und dabei mit seinen fettigen Wurstfingern auf den Zeitungsartikel hingetippt, dass der schon ganz durchsichtig gewesen ist, wirklich wahr«, sagt der Herr Norbert.
»Strandliegenreservierer! Handtuchbesetzer! Freizeitkieberer!«, ruft der Herr Norbert mehrere Male hintereinander aus. Strandliegenreservierer! Handtuchbesetzer! Hobbykieberer! Die Japanerkörper hatten sich quasi zusammengeläppert. Unter beziehungsweise neben den Waggons lagen jammernde, teils bewusstlose Japanerkörper mit verrenkten und gebrochenen Gliedmaßen. Daneben aufgeplatzte Handtaschen und Rucksäcke, aus denen vom berüchtigten Wiener Wind Jausenpapier, Taschentücher und Eintrittskarten für den Wiener Musikverein herausgeweht worden waren, mit der Aufschrift: Einlass 19:30/ Großer Saal/ Sibelius/ Smetana/ Dvořák.
Wenn Sie mir nicht glauben, meine Liebe, können Sie ja selber nachschauen. Empfehlen tu ich es Ihnen ja nicht, aber wenn Sie unbedingt wollen, sag ich nicht nein. Dann schauen Sie es sich halt an. Schauen Sie rein. Hier, bitteschön, das Lavoir. Wie? Natürlich können Sie ihn nicht sehen! Der Körper ist mir ja zerrissen durch Ihr Geruckel. Aber sonst ist alles da: Köpfchen, Händchen, Füßchen. Sehen Sie? Nichts drinnengeblieben. Und den Rest habe ich fein säuberlich ausgekratzt. Da kann man halt nichts mehr erkennen in dem Schleimbatzen … ich habe es ja eh versucht. Es tut mir leid, ich auch nicht, trotz Erfahrung … Aber machen Sie sich keine Sorgen, Sie sind leer. Ausgeräumt. Ich schwöre auf alles. Vertrauen Sie mir! Ist doch schnell gegangen, oder? War halb so schlimm, nicht wahr? Hat Ihnen der Pfarrer Probodnig nicht zu viel versprochen, gell? Ist ja wirklich ein netter Mensch, der Herr Pfarrer. Stimmt doch, oder? Und so hilfsbereit! Der kümmert sich halt noch um seine Gemeinde. Wo gibt es denn so was heutzutage noch, dass sich der Pfarrer so um seine Gemeinde kümmert? Sich dermaßen für seine Gemeinde aufopfert? Eben. Nirgends. Genau, Sie sagen es, meine Liebe. Die Kirche hat ja sonst kein Gespür für so Probleme. Aber ich bitte Sie, nichts zu danken! Das habe ich doch gerne gemacht. Ich mache das ja nicht wegen dem Geld. Nicht nur jedenfalls. Aber man muss ja schließlich auch von was leben, nicht wahr? Und irgendwer muss es ja machen, oder etwa nicht? Irgendwer muss den Frauen doch helfen, sonst tut es ja keiner! Wer denn? Die Männer vielleicht? Die den Frauen das alles überhaupt erst eingebrockt haben? Oder der Staat? Dass ich nicht lache! Mörderinnen sind wir beide offiziell. Sonst nichts. Verbrecherinnen! So ist das hier bei uns. Wie? Nichts Besonderes. Versuchen Sie einfach zu schlafen. Ruhe ist das Wichtigste. Setzen Sie sich in den Zug. Fahren Sie heim und schlafen Sie. Beim Schlafen heilen die Wunden am besten. Sie werden sehen, morgen schaut alles schon ganz anders aus. Da geht es Ihnen wieder halbwegs … Gute Nacht.
EIN INDIANER KENNT KEINEN SCHMERZ , hat die Mutter gesagt.
»Passanten berichten von einem Schlachtfeld , ist in einer Zeitung gestanden, Kreisky. In einer anderen hat es Kriegsschauplatz geheißen und wieder andere haben ein Bild der Zerstörung und, eh scho’ wissen, des Grauens gezeichnet. Gegraust hat’s mir auch, weil, und da haben die Zeitungen einmal ausnahmsweise recht gehabt, Passanten habe ich genug gesehen. Die Passanten haben nämlich die Unglücksstelle wirklich nur passiert. So wie sie ganz offensichtlich vor dem Passieren dem Verbluten zugeschaut haben. Einer hat sogar seinen Hund weggezogen und ausgeschimpft. Ihm mit der Leine eine über die Schnauze gegeben, weil der an einem Japanerellbogen herumgeleckt hat, wirklich wahr, Kreisky, ob du es glaubst oder nicht, so ist es gewesen. Gekommen, geschaut, gedeutet, wieder weggeschaut, weiter und weggegangen ist worden. So war das, wirklich wahr. Menschliches Versagen! Menschliches Versagen! Zum Schluss hat es sich wie immer als menschliches Versagen herausgestellt … die Polizei geht von menschlichem Versagen aus, haben sie geschrieben, Kreisky, sag ich zu ihm«, sagt der Herr Norbert und zeigt dabei mit seinem ausgestreckten Zeigefinger auf den Lebensberater.
Vielleicht hätte man sie noch retten können, hat der Schaffner zum Probodnig gesagt. Da bin ich mir fast sicher. Wer weiß das schon so genau? Wenn sie nicht gleich nach der Abfahrt vom Südbahnhof und
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