Wer nie die Wahrheit sagt
finden war als sie.
GÖTEBORG, SCHWEDEN
Es war so kalt, so schweinekalt, dass Lily glaubte, es nicht mehr ertragen zu können. Das Komische war, sie wusste, dass sie nicht richtig bei Bewusstsein war, dass sie nicht wirklich wusste, was um sie herum vorging oder wo sie war, ihr Körper zuckte und schlotterte aber trotzdem vor Kälte. Die Kälte drang ihr bis ins Mark, und sie fühlte jedes Krampfen, jedes Zittern.
Dann auf einmal spürte sie Simon in der Nähe, kein Zweifel, er war es, denn sie kannte seinen Geruch. Verdammt, ja, sie kannte bereits seinen unverkennbaren Geruch, ein schöner Geruch, so sexy wie die Haare, die sich in seinem Nacken ringelten. Auf einmal waren seine Arme da und umfingen sie. Ganz fest zog er sie an sich, so dicht, dass ihr Atem seinen Hals streifte und sie sein Herz stark und gleichmäßig schlagen fühlte.
Er atmete schwer und fluchte. Richtig schlimme Wörter gab er von sich, Wörter, die Savich nie gesagt hatte, nicht mal, wenn er wütend gewesen war, was sich in ihrer Kindheit ziemlich oft gezeigt hatte. Wie lange das schon her war. Sie drückte sich enger an ihn, spürte seine Wärme bis tief in den Bauch. Das heftige, krampfartige Zittern ließ endlich nach, und ihr Verstand begann wieder zu funktionieren.
»Wo sind wir, Simon? Wieso ist es so kalt? Haben die uns an einem Fjord liegen lassen?«, fragte sie.
Er strich mit den Händen über ihren Rücken, dann rückte er ganz nahe an sie heran, um sie noch besser wärmen zu können.
»Ich schätze, wir sind in Schweden. So kalt, wie’s hier drin ist, glaube ich kaum, dass wir in der Nähe von Ians Jacht am Mittelmeer sind. Bin auch erst vor kurzem aufgewacht. Die haben uns ein Betäubungsmittel gegeben. Erinnerst du dich?«
»Ja, dieser Nikki hat mir irgendwas eingeflößt; ich konnte nichts dagegen machen. Dich hatten sie zu der Zeit wahrscheinlich schon betäubt. Wie viel Zeit ist vergangen?«
»Ein paar Stunden. Wir sind in einem Schlafzimmer, und die Heizung funktioniert entweder nicht, oder sie ist ausgeschaltet. Die Tür ist zugesperrt, und wir liegen auf der blanken Matratze, haben also keine Decken oder Laken. Hab gerade erst gemerkt, wie kalt dir ist. Wird’s dir jetzt wärmer?«
»O ja«, flüsterte sie, »schon viel besser.«
Er schwieg eine Weile, lauschte nur ihrem Atem und spürte, wie sie sich mehr und mehr entspannte, während ihr wärmer wurde. Er räusperte sich und sagte: »Lily, ich weiß, dass hier weiß Gott nicht der richtige Ort dafür ist, und wahrscheinlich ist es auch ein bisschen eigenartig, das gerade jetzt zu sagen, aber ich muss einfach ehrlich sein. Du hast mit deinen ersten zwei Männern nicht gerade ein glückliches Händchen gehabt. Ich denke, was du jetzt brauchst, ist eine Art Berater, der dir hilft, in Sachen dritter Ehemann dein Urteilsvermögen zu schärfen, zu lernen, worauf es wirklich ankommt.«
Sie hob den Kopf, sah in dem trüben Licht sein stoppeliges Kinn und erwiderte nur: »Kann sein, aber noch bin ich mit dem zweiten verheiratet.«
»Nicht mehr lange. Tennyson wird bald nur noch ein ziemlich schlechtes Kapitel in deinem Leben sein, danach lediglich eine Erinnerung; anschließend wirst du dann bereit sein, es mit deinem Berater zu versuchen.«
»Der Mann ist beängstigend, Simon. Er hat mich nur geheiratet, um an meine Bilder ranzukommen. Er hat mir Depressiva gegeben. Wahrscheinlich hat er versucht, mich umzubringen, indem er die Bremsleitungen an meinem Wagen durchschnitt. Er ist ein sehr schlimmes Kapitel, das allerschlimmste vielleicht, und so lange ist mein Leben doch noch gar nicht. Dürfte nicht gerade gut für die Seele sein, mit Jack Crane und Tennyson Frasier zusammen gewesen zu sein.«
»Du wirst dich von Tennyson scheiden lassen, genauso wie vorher von Jack Crane. Erzähl doch mal von deinem ersten Mann.«
»Also gut. Er heißt Jack Crane und war sogar noch schlimmer als Tennyson. Er hat mich geschlagen, als ich mit Beth schwanger war. Das war das erste und auch letzte Mal. Ich habe Dillon angerufen, und er war sofort da und hat Jack verprügelt. Hat drei von seinen perfekten weißen Zähnen gelockert, zwei Rippen angeknackst und ihm zwei Veilchen und ein dickes Kinn verpasst. Dann hat Dillon mir beigebracht zu kämpfen, damit ich ihn, falls er noch mal auftauchen sollte, selbst fertig machen kann.«
»Und – ist er nach der Scheidung noch mal aufgetaucht?«
»Nein, leider nicht.«
»Lily, es gibt sehr viele Männer, die nicht so sind wie dein erster
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