Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer nie die Wahrheit sagt

Wer nie die Wahrheit sagt

Titel: Wer nie die Wahrheit sagt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
Vom Netzwerk:
Waldburg. Der größte Park unserer Stadt wurde vor Jahren nach diesem Anwesen benannt. Möchten Sie sich nicht setzen?«
    »Welche Stadt?«
    »Setzen Sie sich. Gut. Ich bin Ian Jorgenson. Mein Vater hat mich gebeten, Sie zu begrüßen. Sie sehen besser aus als bei Ihrer Ankunft.«
    »Das glaube ich gern«, meinte Lily trocken.
    »Sie sprechen sehr gut Englisch«, bemerkte Simon.
    »Ich habe Princeton besucht. Ich habe, wie Sie sich vielleicht denken können, Kunstgeschichte studiert. Und natürlich Wirtschaft.«
    »Warum sind wir hier?«
    »Ah, da ist ja mein Vater. Nikki, bring ihn sehr nahe heran, damit er Mrs. Frasier sehen kann.«
    Lily verkrampfte sich unwillkürlich, als Nikki einen Rollstuhl auf sie zuschob. In diesem Stuhl saß ein unglaublich alter Mann, dem nur noch ein wenig weißer Flaum aus dem Schädel wuchs. Er wirkte sehr gebrechlich, aber als er den Kopf hob, sah sie leuchtend blaue Augen, und diese Augen funkelten scharf und intelligent. Das Gehirn in diesem runzligen Kopf war weder gebrechlich noch altersschwach.
    »Näher«, krächzte der alte Mann.
    Nikki rollte ihn bis auf wenige Zentimeter an Lily heran. Der Alte streckte die Hand aus und berührte ihr Gesicht mit den Fingerspitzen. Lily wollte zuerst zurückzucken, beherrschte sich jedoch.
    »Ich bin Olaf Jorgenson, und Sie sind Lily. Ich spreche sehr schönes Englisch, denn wie mein Sohn habe auch ich an der Universität von Princeton studiert. Ah, wie ich sehe, tragen Sie das weiße Kleid, genau wie ich es angeordnet hatte. Es ist wunderhübsch, genau wie ich es erhoffte. Perfekt.« Er strich mit den Fingern über ihren Arm, über die weiche weiße Seide, hinunter zu ihrem Handgelenk. »Ich möchte Sie in diesem weißen Kleid malen lassen. Ich bin froh, dass diese amerikanischen Hanswurste es nicht geschafft haben, Sie und Mr. Russo zu töten.«
    »Wir auch«, meinte Lily. »Warum wollten Sie uns so unbedingt töten, Mr. Jorgenson?«
    »Nun ja, sehen Sie, es war meine Absicht, den Frasiers freie Hand mit Ihnen zu lassen. Wie ich gehört habe, haben sie mehrere Versuche verpatzt, worüber ich nun zutiefst dankbar bin. Mir war ja nicht klar, wie Sie aussehen, Lily. Als mir Ian Ihr Foto zeigte, befahl ich den Frasiers sofort, Sie in Ruhe zu lassen. Ich schickte Alpo und Nikki nach Kalifornien, um Sie zu mir zu bringen. Auch sie waren recht ungeschickt, aber am Ende spielte das keine Rolle, denn nun sind Sie ja hier.«
    Lily sagte langsam: »Ich sehe doch ganz normal aus.« Aber sie wusste, dass sie jemandem ähnlich sehen musste, der ihm viel bedeutete, also wartete sie, hielt den Atem an, als seine Finger ihren Arm hinauf bis zu ihrer Schulter krabbelten. Seine Nägel waren fast schwarz und sahen sehr ungesund aus.
    Schließlich sagte der Alte: »Sie sehen genauso aus wie Sarah Jameson, als ich sie vor langer Zeit, noch vor dem Ersten Krieg, in Paris kennen lernte, als die Künstlergemeinde von Paris sich von allen Konventionen frei machte und erblühte. Ach ja, wie haben wir die französische Bourgeoisie erzürnt mit unseren endlosen, unverschämten Spielen, unserer grenzenlosen Kühnheit und unseren Ausschweifungen! Ich erinnere mich noch an die Stunden, die wir mit Gertrude Stein verbrachten. Ach, welch eine Intelligenz diese Frau hatte, welch einen scharfen Witz! Schärfer als Nikkis Lieblingsmesser. Und solch noble und hoch fliegende Ideen! Und dann der kluge und grausame Picasso – er malte sie, betete sie an. Und Matisse, so still, bis er Absinth trank, und dann sang er die obszönsten Lieder, während er malte. Ich weiß noch, wie die Flüche seiner französischen Nachbarn durch die Wände schallten, wenn er sang.
    Ich sah, wie Hemingway sich mit Braque und Sherwood maß – im Weitspucken auf einen Spucknapf. Ihre Großmutter hat den Napf versetzt. Ach, das Lachen, dieser Glanz. Es war die extravaganteste, prächtigste, farbigste Zeit in der ganzen Geschichte, all die großen Talente jener Zeit, versammelt an einem Ort. Wie ein Zoo, in dem nur die schönsten, wildesten und gefährlichsten Arten vertreten waren. Sie schenkten der Welt die größte Kunst, die es je gab.«
    »Ich wusste gar nicht, dass Sie Schriftsteller oder Maler sind«, meinte Simon.
    »Leider keines von beiden, muss ich gestehen, aber versucht habe ich es. Zahllose Stunden habe ich bei den großen Malern studiert und viele Leinwände verschwendet. So viele meiner jungen Freunde wollten malen oder schreiben. Wir waren in Paris, um die Großen unserer Zeit zu

Weitere Kostenlose Bücher