Wer nie die Wahrheit sagt
aus ihm geworden war.
Lily sah Wahnsinn in seinen Augen; es war mehr als Hass, und es war gegen sie gerichtet. Gegen sie und auch gegen ihre Großmutter, die tot und seiner Rache somit entzogen war. Alles, was ihn getrieben hatte, all die Jahrzehnte der Besessenheit mit ihrer Großmutter als der einzig perfekten Frau, all das war explodiert, als Lily ihn zwang, sich so an die Ereignisse zu erinnern, wie sie tatsächlich geschehen waren, ihn zwang, die Wahrheit zu sehen, die Wahrheit des Tages, an dem Sarah Elliott ihm mitteilte, dass sie mit einem anderen Mann fortgehen würde.
Etwa zwei Meter vor ihr blieb er stehen. Sie fragte sich, ob er sie sehen konnte. Oder sah er nur eine verschwommene Silhouette?
Mit leiser, klarer Stimme sagte er: »Ich habe beschlossen, Sie nicht zu heiraten. Ich habe jetzt deutlich erkannt, dass Sie meine Hingabe und Bewunderung nicht verdienen. Sie sind in keiner Weise wie Sarah, in keiner Weise.« Er nahm eine kleine Derringer von seinem Schoß und zielte damit auf sie.
»Die Frasiers sind tot. Sie hatten lebend keinen Wert mehr für mich. Und Sie jetzt auch nicht mehr.«
Beide Bodyguards traten wie ein Mann vor.
Er hatte die Frasiers ermorden lassen?
Lily rannte auf den Rollstuhl zu und warf sich mit aller Kraft dagegen. Er kippte auf die Seite und kratzte über den Marmorboden. Olaf wurde herausgeschleudert.
Lily zögerte keine Sekunde. Sie rannte, so schnell sie konnte, und hechtete hinter den weißen König. Zwei Schüsse ertönten, schnell hintereinander. Der Kopf des Königs explodierte in einem Schauer von Marmorsplittern.
Sie hörte Olaf den Bodyguards etwas zubrüllen, hörte das laute Klatschen ihrer Füße. Sie blieb flach auf dem Boden liegen. Mehrere Marmorsplitter hatten sie getroffen, und sie verspürte schmerzhafte Stiche, spürte Blut an ihrem Arm herunterlaufen, in ihren BH, das weiße Kleid …
Olaf, der noch immer hilflos wie ein Käfer auf dem Boden lag, fluchte wie ein Postkutscher. Er kreischte seine Leibwächter an, ihm zu sagen, ob er sie erwischt habe oder nicht.
Die Bodyguards brüllten etwas, aber auf Schwedisch. Sie ließen sie unbehelligt, wahrscheinlich weil sie wussten, dass der Boss dieses Vergnügen für sich selbst beanspruchte.
Auf den Ellbogen begann sie auf die große Eingangstür zuzukriechen, an der Königin vorbei, jetzt dem Läufer. Sie spähte zu Olaf hinüber. Einer seiner Leibwächter beugte sich über ihn, hob Olaf auf und setzte ihn wieder in seinen Rollstuhl. Dann drehte er ihn in ihre Richtung. Und Olaf zielte genau auf sie.
Sie rollte sich hinter den Springer. Noch etwa drei Meter trennten sie von der Tür.
»Schönes Spiel«, kreischte Olaf gackernd und feuerte. Der Läufer wackelte und zersprang noch beim Fallen. Er fiel über ihre Fußgelenke, und ein scharfer Schmerz durchzuckte sie, doch sie konnte ihre Füße Gott sei Dank noch bewegen. Sie zog sie hinter den Springer und verharrte dort, regungslos zusammengekauert.
Wieder kreischte Olaf etwas. Dann lachte er. Noch ein Schuss, der laut und obszön die Stille zerriss. Ein großes Stück Marmorfußboden spritzte, kaum einen Meter von ihr entfernt, in alle Richtungen. Wieder und wieder feuerte er die Pistole ab. Der König torkelte und stieß gegen die Königin.
Lily hockte nun auf den Knien hinter dem Turm, nahe bei der Eingangstür.
Ein weiterer Schuss pfiff an ihrem Ohr vorbei, und sie drückte sich flach auf den Boden. Einer der Bodyguards brüllte etwas und rannte auf sie zu. Wieso?
Weitere Schüsse krachten, mindestens sechs, aber sie kamen weder von Olaf noch von seinen Leibwächtern, sondern von der Eingangstür her. Sie hörte Rufe, Männerstimmen, es wurde an die Tür gehämmert, bis diese nach innen aufflog.
Olaf und die Bodyguards eröffneten das Feuer auf die Tür.
Blitzschnell sprang Lily auf, nahm ein großes Stück vom Helm des Läufers, rannte auf Olaf zu und schleuderte es gegen seinen Rollstuhl.
Es traf ihn. Olaf, immer noch wild feuernd, doch diesmal gegen die Decke, kippte nach hinten. Seine Leibwächter gaben Fersengeld, als Polizisten in der offenen Eingangstür auftauchten und auf sie schossen.
Noch mehr Schüsse. Das Geballer wollte kein Ende nehmen. Und das Geschrei. Es war viel zu laut. Da war Simon, gleich hinter dem dritten Polizisten. Gott sei Dank, er war am Leben.
Plötzlich trat Stille ein. Der Sturm war vorüber. Lily rannte zu Simon, warf sich ihm um den Hals. Seine Arme umschlossen sie fest.
Sie hob den Kopf und blickte
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