Wer sich nicht fügen will
hatte immer das Gefühl gehabt, dass mehr in ihm steckte, als er nach außen zu erkennen gab, dass seine joviale Art teilweise nur Fassade war. Er war breitschultrig und trug einen Bürstenschnitt. Das braune Cordjackett und die Jeans vermittelten einen betont lockeren Eindruck: Dieser Mann wollte nicht wie ein Polizist aussehen.
»Lasse Nordström, in Finnland ist es verboten, in der Öffentlichkeit sexuelle Dienstleistungen anzubieten, trotzdem blüht das Sexgeschäft auf den Straßen ebenso wie in Restaurants und im Internet. Die Helsinkier Schutzpolizei hält das Gesetz gegen Straßenprostitution für wirkungslos, weil Anzeigen so gut wie nie zu Verurteilungen führen. Ist die Polizei frustriert?«
»Die Einhaltung der vom Parlament beschlossenen Gesetze muss selbstverständlich überwacht werden. Auch dann, wenn man lieber andere Prioritäten setzen würde. Die Polizei strebt bei allen Formen der Kriminalität die Nulllinie an.«
»Selbst wenn dieses Ziel unerreichbar ist?«, hakte Länsimies nach.
Nordström schien unbequem zu sitzen, offenbar war der schwere braune Sessel zu klein für ihn.
»Das ist eine Frage der Ressourcen. Wie jedem klar sein dürfte, ist die Polizei zu knapp ausgestattet. Die Leichtathletik-WM in diesem Sommer wird die Situation noch verschlimmern.«
»Was meinen Sie persönlich – sollten Kauf und Verkauf von Sex verboten oder liberalisiert werden?«
Lasse weigerte sich, seine eigene Meinung zu äußern. Stattdessen leierte er Statistiken herunter, und Länsimies hatte seine liebe Not, ihn zum Schweigen zu bringen. Ich selbst hätte es auch problematisch gefunden, in einer Fernsehdiskussion meine persönliche Auffassung publik zu machen. Staatsdiener mussten nun einmal loyal zu ihrem Dienstherrn stehen, auch wenn es ihnen gegen den Strich ging.
Schließlich riss Länsimies die Zügel wieder an sich und bat den nächsten Gast ins Studio: Anna-Maija Mustajoki. Sie hatte im letzten Herbst ihre Memoiren veröffentlicht, und eine Episode darin hatte Aufsehen erregt: die fünfseitige Schilderung ihrer Begegnung mit einem männlichen Prostituierten Ende der sechziger Jahre in Kalifornien. Dass die Autorin nicht nur eine kürzlich pensionierte hohe Beamtin des Ministeriums für Gesundheit und Soziales, sondern auch eine bekennende Feministin war, machte den Skandal perfekt. Die Journalisten interessierten sich weder für Mustajokis Analyse der erneut auseinander driftenden Geschlechterrollen noch für ihre Erfahrungen als Unicef-Beauftragte in Afrika, sondern bissen sich an jenen fünf Seiten fest. Unzählige Kolumnen und Karikaturen nahmen Anna-Maija Mustajoki aufs Korn. Mit ihren langen grauen Haaren, der runden Brille im ungeschminkten Gesicht und der betont maskulinen Kleidung entsprach sie haargenau dem Prototyp der Feministin, wie sie in Zerrbildern so gern dargestellt wurde.
»Anna-Maija Mustajoki, Sie sind der Ansicht, Kuppelei und der Kauf sexueller Dienstleistungen sollten kriminalisiert werden, der Verkauf dagegen nicht. Warum?«
»Die meisten in Finnland tätigen Prostituierten sind Opfer des Frauenhandels und geraten ins horizontale Gewerbe, weil sie keine Alternative haben. Sie brauchen Hilfe, deshalb ist es unvernünftig, sie zu Outlaws zu machen. Wenn sie Strafverfolgung befürchten müssen, werden sie sich bei Übergriffen erst recht nicht mehr an die Polizei wenden. Man sollte sich lieber darauf konzentrieren, Zuhälter und Menschenhändler dingfest zu machen.«
»Ihrer eigenen Interpretation nach haben Sie selbst also vor fast vierzig Jahren ein Verbrechen begangen …«
Anna-Maija nickte, ihre Miene war reserviert.
»Aber waren die Dollars, die Sie damals bezahlt haben, nicht eine Hilfe für Jimmy, den jungen Stricher? Warum sollte in Finnland nicht das Gleiche gelten? Die Mädchen verdienen Geld und brauchen nicht zu hungern.«
»Der arme Junge hat sich von dem Geld bestimmt den nächsten Schuss gekauft. Ein Entzug wäre für ihn besser gewesen.«
»Anna-Maija Mustajoki ist zu bewundern für den Mut, über ihre Abenteuer in Kalifornien zu schreiben. Auch einen Mann zu finden, der bereit ist, dem Sexkunden ein Gesicht zu geben, war gar nicht so leicht. Oft denkt man ja, zu Prostituierten gingen nur Loser und verklemmte Junggesellen, Männer, die keine andere Wahl haben. Aber Untersuchungen zufolge sind es die ganz normalen Männer, die käuflichen Sex in Anspruch nehmen. Hier ist einer von ihnen. Herzlich willkommen, Mauri Hytönen!« Länsimies applaudierte
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