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Wer sich nicht fügen will

Wer sich nicht fügen will

Titel: Wer sich nicht fügen will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Letholainen
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die Frau nicht an der Fundstelle misshandelt wurde, denn auf der Schneedecke waren keine Blutspritzer zu sehen.«
    Das Foto zeigte eine flache, von einer dünnen Schneeschicht bedeckte Parzelle unmittelbar an der Straße. Eine Leichtigkeit, dort jemanden aus dem Auto zu stoßen.
    »Aber warum hat man sie ausgerechnet da abgelegt? Um sie erfrieren zu lassen? Oder damit sie gefunden wird?«, überlegte Puupponen.
    »Man hat der Kleinen das Werkzeug zerschnippelt, aus Rache«, stellte Ursula ungerührt fest. »Seltsam ist nur, dass sie anschließend nicht eingesperrt wurde. Normalerweise halten die Zuhälter ihre Pferdchen unter Verschluss, bis sie wieder gesund sind.«
    »Denkt bitte daran, dass wir bislang keinen Grund haben, das Mädchen mit dem Milieu in Verbindung zu bringen. Warten wir die Vernehmung ab«, mahnte ich. Anu Wang-Koivu, eine gebürtige Vietnamesin, hatte mich darüber belehrt, dass Immigrantinnen asiatischer und russischer Herkunft in Finnland pauschal abgestempelt wurden: als Freudenmädchen oder per Katalog bestellte Ehefrauen.
    »Ich kümmere mich darum«, versicherte Koivu, und ich nickte zustimmend. Seine sanfte Art brachte die meisten zum Reden. Aber ohne Dolmetscher würde er nicht klarkommen.
    »In der Klinik gibt es sicher jemanden, der Russisch spricht. Werden neuerdings nicht alle Hilfsschwestern aus dem Ausland herangekarrt, weil die Finnen sich für solche Arbeiten zu schade sind?«, meinte er.
    »Du redest ja wie ein Politiker. Ich komme mit«, sagte ich spontan. »Passt es dir gleich nach der Besprechung?«
    Puupponen pfiff durch die Zähne. »Kannst du etwa Russisch, Chefin?«
    »Ich hab’s im Gymnasium gelernt und in letzter Zeit wieder aufgefrischt, weil wir per Satellit ein paar russische Fernsehsender kriegen.« Dass ich meine Russischkenntnisse aufpolierte, weil ich hoffte, bei der Stellensuche davon zu profitieren, verschwieg ich. Ich war seit zehn Jahren bei der Espooer Polizei, hatte allerdings wegen der beiden Mutterschaftsurlaube nur sieben Jahre voll gearbeitet. Trotzdem wurde es allmählich Zeit für einen Tapetenwechsel. Wenn ich mich recht erinnerte, hatte ich damals in der Oberstufe Russisch gewählt, weil Johnny, meine erste Liebe, den gleichen Kurs belegte. Welche Ironie, dass die alberne Entscheidung eines Schulmädchens fast ein Vierteljahrhundert später womöglich bei einer Kriminalermittlung von Nutzen war.
    Ich überließ Koivu das Steuer und legte mir während der Fahrt brauchbare Wendungen und Wörter zurecht. In letzter Zeit hatte ich auch mit einer von Iidas Eiskunstlauftrainerinnen Russisch gesprochen, aber Schlittschuhwortschatz war bei der Vernehmung sicher nicht hilfreich.
    Mein letzter Besuch in der Klinik lag einige Monate zurück. Im letzten Herbst hatte ich mich dort von Anttis Vater verabschiedet. Die Erinnerung schnürte mir die Kehle zu, obwohl der Tod Tauno Sarkela von einer langen, schweren Krankheit erlöst hatte. Die Klinik war für mich ein Ort des Leidens und Sterbens – darum hatte ich meine Kinder auch im Geburtshaus in Tammisaari zur Welt gebracht. Koivu ging mir mit langen Schritten voran, als wollte er die Sache möglichst schnell hinter sich bringen. Und ich hatte plötzlich das Gefühl, keinen einzigen russischen Satz zusammenzubringen.
    Am Informationsschalter erfuhren wir die Zimmernummer. Die junge Frau, die wir vernehmen wollten, lag am Fenster. Im mittleren Bett schlummerte eine alte Dame, im Bett an der Tür lag eine Frau in meinem Alter mit lockigen Haaren und einem Gipsbein, das in einer Zugvorrichtung hing. Sie grüßte uns fröhlich.
    »Hat sich endlich jemand gefunden, der das Mädchen im Fensterbett kennt?«
    Es ging natürlich nicht an, Frau X in Anwesenheit anderer Patientinnen zu vernehmen. Ich fragte die Dienstschwester nach einem freien Zimmer. Sie sah mich an, als wäre ich nicht ganz bei Trost.
    »Wir stellen ja schon überall Zusatzbetten auf.«
    »Ein Waschraum vielleicht, oder eine Wäschekammer? Jeder separate Raum ist uns recht.«
    Sie machte sich auf die Suche nach der Stationsschwester, während Koivu und ich uns bemühten, die neugierige Zimmernachbarin abzuwimmeln.
    »Das ist eine Russin. So viel Russisch hab ich in Tallinn immerhin gehört, dass ich die Sprache wieder erkenne.«
    »Hat sie mit Ihnen gesprochen?«
    »Nein, aber heute Nacht hat sie im Schlaf derart gebrüllt, dass ich die Schwester rufen musste. Erst warte ich vier Jahre auf die Krampfadernoperation, und dann krieg ich so eine aufs Zimmer.

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