Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
Vom Netzwerk:
Zeit geschah es, daß sich dasjenige in Europa allgemach zu nähern begann, was vor wenig Jahren noch von vielen für eine Unmöglichkeit gehalten worden wäre, und woran manche Herzen doch glaubten und sich darauf vorbereiteten. Die Anzeichen, daß ein Umschwung der Dinge bevorstehe, mehrten sich immer mehr und mehr. Die Stimmen, diese Vorboten der Taten, änderten ihre Worte in Bezug auf das, was bisher immer gewesen ist, und wenn ein neuer Krieg, dessen Anzeichen immer deutlicher wurden, ausbrechen sollte, so war nicht zu verkennen, daß seine Natur eine ganz andere werden würde, als sie bisher immer gegenüber dem gefürchteten, allmächtigen und halb bewunderten Feinde war. Der Haß war sachte und allseitig heran geblüht, und die geschmähte Gottheit der Selbstständigkeit und des eigenen Wertes hob allgemach das starke Haupt empor. Es war damal eine große, eine ungeheure Gemütsbewegung in der Welt, eine einzige, in der alle anderen, kleineren untersanken.
    Als die Tage des Sommers vorrückten, lösete sich einmal bei einer der gewöhnlichen Begegnungen Hugos Herz und Zunge. Da die schwarzgekleidete Unbekannte ihren Schleier zurück geschlagen hatte und grüßte, da man einige der gewöhnlichen Worte geredet hatte, sagte Hugo, daß er jetzt sehr wahrscheinlich nicht mehr lange in der Stadt bleiben werde; denn wenn, wie es den Anschein gewinne, ein neuer Krieg gegen den Landesfeind erklärt werden würde, so werde er in die Reihe der Krieger gegen denselben treten, und weil sich wahrscheinlich viele tausend Jünglinge insgeheim zu diesem Ziele vorbereitet haben würden, so sei es vielleicht möglich, daß man den Feind aus den Grenzen werfen und das Vaterland für immer befreien könne. Zu dieser Tat habe er sein Herz und sein Leben aufgespart. Er frage sie, ob sie ihm so gut sein könne, als er ihr es sei – sie möchte sich ihm doch einmal, einmal nennen, wer sie sei – – nein das brauche er nicht – sie möchte ihm nur sagen, ob sie unabhängig sei, ob sie, wenn sie ihn einmal näher kennen gelernt haben würde, ihm folgen und sein Los mit ihm teilen möge – er werde ihr alles darlegen, wer er sei und woher er stamme – nur die Tat der Vaterlandsbefreiung habe er noch mit zu tun, sie könne ja so lange nicht dauern, weil viele hundert Tausende dazu beihelfen würden – er habe einen traulichen Sitz im fernen Gebirge, dorthin würden sie dann gehen. Oder wenn sie abhängig sei, wäre es denn nicht möglich, daß er zu ihrem Vater, zu ihren Angehörigen käme, sich bei ihnen auswiese, von ihnen kennen gelernt würde und dann um sie bäte. Sei sie aber frei und ihre eigene Herrin, wäre er denn nicht würdig, ihr Haus zu betreten? Er meine es treu und gut; so lange er lebe, sei keine Faser an ihm gegen irgendeinen Menschen falsch gewesen. Sie möchte nun, da er geredet habe, auch reden. Diese Worte hatte er eilig gesagt, und sie heftete die sanften Augen auf ihn.
    Dann aber sagte sie: »Was das Schicksal will, das muß geschehen. Sucht mich eine Woche lang nicht in dieser Gasse, auch nicht vor der Kirche; Ihr werdet mich anderswo sehen. Kommt über acht Tage, genau am heutigen Tage, um zehn Uhr vor das Kirchentor, dort werdet Ihr Nachricht von mir erhalten.«
    Nach diesen Worten sagte sie, halb zu ihrer Begleiterin gewendet: »Dionys wird es machen.«
    Dann sprach sie wieder zu Hugo: »Vergeßt nicht, was ich gesagt habe, kommt meinen Worten getreu nach, und lebt jetzt recht wohl!«
    Sie wollte den Schleier umnehmen und fortgehen, aber Hugo rief: »Jetzt nicht, nur einen Augenblick noch nicht – – den Namen, nur eine Silbe des Namens!«
    »Cöleste«, sagte sie leise.
    »Und die Hand, daß wir uns sehen, die Hand, Cöleste!«
    Und sie suchte eilig die Hand aus der Kleiderhülle und reichte sie ihm hin. Er faßte sie, und sie hielten sich einen Augenblick.
    Dann ließen sie los, sie zog den Schleier herab, er grüßte noch einmal, und beide gingen sie dann ihre verschiedenen Wege auseinander, wie sie sie bisher immer gegangen waren.

3. Das Lindenhäuschen
    Es geht die Sage, daß, wenn in der Schweiz ein tauiger, sonnenheller, lauer Wintertag über der weichen, klafterdicken Schneehülle der Berge steht, und nun oben ein Glöckchen tönt, ein Maultier schnauft, oder ein Bröselein fällt – sich ein zartes Flöckchen von der Schneehülle löset und um einen Zoll tiefer rieselt. Der weiche, nasse Flaum, den es unterwegs küsset, legt sich um dasselbe an, es wird ein Knöllchen und muß nun tiefer

Weitere Kostenlose Bücher