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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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genug tun oder nicht. Darnach richten Sie Ihren Entschluß für die Zukunft. Ich werde mich nicht verstellen – man konnte es auch nicht; denn wenn man auch die Seele durch die Lüge einer großen Tatsache verfälschte, so blickt sie doch aus tausend kleinen, die vor dem Beobachter vorfallen, heraus und zeigt sich, wie sie ist. Wenn Sie mir die Freude machen, in meine Wohnung zu treten,so sehe ich das als ein Zeichen an, daß Sie meine Bitte zu erfüllen gesonnen sind. Sollten Sie aber Ihren Grundsätzen zu Folge diese Bitte nicht erfüllen können, so machen Sie mir lieber den Schmerz, daß ich Sie heute nicht und in alle Zukunft nicht mehr sehe; denn aus Ihren Fragen würde sehr viel Kummer und sehr viele Traurigkeit hervor gehen. Dann lebe ich fort, wie ich bisher gelebt habe. Ich werde Ihnen, wenn Sie kommen, einstens schon alles enthüllen, wie es meine Pflicht und meine Verbindlichkeit ist. Ich sende Ihnen viele sehr schöne Grüße. Cöleste.‹
    Hugo faltete das Papier wieder zusammen, zog seine Brieftasche hervor und legte das Schreiben hinein.
    Das Mädchen, welches mit ihm fuhr, beobachtete ihn eine Weile, dann sagte es: »Haben Sie den Brief gelesen?«
    »Ja«, antwortere Hugo.
    »Dann hat mir meine Gebieterin aufgetragen, Sie zu fragen, ob wir zu ihr fahren sollen, oder ob Sie an irgendeiner andern Stelle aus diesem Wagen zu steigen wünschen.«
    »Wir fahren zu ihr«, antwortete Hugo.
    »Dann braucht der Kutscher keine weitere Weisung,« sagte das Mädchen, »er weiß schon, wohin er lenken soll.«
    Mit diesen Worten lehnte sie sich wieder in den Wagen zurück, und die beiden Miteinanderfahrenden redeten von nun an keine Silbe mehr zu einander.
    Der Wagen rollte indessen sehr rasch dahin und war bereits, wie Hugo bemerkte, in der Hauptstraße einer der Vorstädte, ziemlich weit von der Stadt entfernt.
    Endlich schwangen sich die Pferde von der Straße ab und fahren durch das Tor eines Gartens hinein, wie sie in den entfernten Teilen der Vorstädte noch häufig zwischen den Häusern liegen. In dem Garten ging ein breiter, langer Sandweg zurück, auf dem man die Räder nicht rollen hörte, und führte einem weißen, schönen Häuschen zu, welches zu beiden Seiten und rückwärts mit großen, dichten Linden umgeben war und nur mit der Stirne über die andern niedern Gebüsche des Gartens auf die Straße der Vorstadt hinaus sah. Vor dem Tore dieses Hauses hielt der Wagen. Das Mädchen stieg aus, Hugo folgte, und der Wagen fuhr wieder davon. Das Mädchen führte nun Hugo eine kurze, breite Treppe hinauf, schloß zwei Türen auf und geleitete ihn in die einzige Wohnung, welche das Häuschen im ersten Geschosse enthielt. Es waren vier Zimmer in der Reihe, und ihre Türen waren durch und durch offen. Im zweiten derselben stand sie, die ihn erwartete – es schien, als hätte sie ihm entgegen gehen wollen, von hier aus aber nicht weiter den Mut gehabt – sie stand an einem marmornen Spiegeltische, der an einem Pfeiler war, und hielt sich daran mit der einen Hand. Hugo hatte sie nur immer in dem alten schwarzen Kleide gesehen, heute aber war sie leicht und mit den Kleidern der Jugend angetan: er erschrak ein wenig; denn so schön und so schlank und so groß hatte er sie nicht gedacht. Von dem grauen Seidenkleide, das sie umfloß, blickten die weißen Hände und das lichte Antlitz sanft hervor. In den dunkelbraunen Haaren, welche besonders reich waren, trug sie gar nichts; aber diese Haare waren selber ein Schmuck, sie waren unbeschreiblich rein und glänzend, und die feinen Züge und die großen Augen sahen darunter wie ein süßer Himmel heraus. Sie war sehr rot geworden, als er eintrat.
    Hugo hielt seinen Hut in der Hand, verbeugte sich vor ihr, und sagte gar nichts. Sie sprach auch nicht – und so standen sie einige Augenblicke. Dann fragte sie ihn, ob er nicht in ihr Arbeitszimmer mit ihr gehen wolle. Er ging mit ihr. In dem Zimmer stand ein Stichrahmen am Fenster, in der Ecke war ein Schreibtisch, dann waren die andern Geräte, die gewöhnlich in solchen Zimmern zu sein pflegen, kleine Tischchen, Schemel und dergleichen, an der Rückwand stand ein Sofa mit den dazu gehörigen Sesseln, und davor ein großer Tisch. Der Boden war mit schönen Teppichen belegt. Draußen wiegten sich die grünen Baumzweige der Linden, es spielten Sonnenstrahlen herein, daß gesprenkelter Schatten auf den Teppichen war. Sie setzte sich auf das Sofa und lud ihn zum Niedersitzen ein. Er legte seinen Hut auf eines der Tischchen

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