Werke
der Platz seitwärts mündete, ging in derselben eine Strecke fort, und bog dann in eine zwar schöne und breite, aber sehr leblose Gasse ein, in welcher viele Paläste und große Häuser stehen, die aber schon anfingen, sehr entvölkert zu sein, weil ihre Bewohner bereits das Landleben suchten. Die meisten Fenster waren zu, und hinter dem Glase hingen die ruhigen, grauleinenen Vorhänge herab. Fast bis gegen die Mitte dieser Gasse folgte ihr Hugo, dann aber wendete er sich um und ging nach Hause.
So wie er an diesem Tage getan hatte, so tat er nun an jedem der kommenden. Weit hinter ihr gehend folgte er ihr, wenn sie die Kirche verlassen hatte, und sah die schwarze Gestalt durch das Gewimmel des Platzes gehen, sah sie durch einen Teil der belebten Gasse schreiten, sah sie in die einsame einbiegen, folgte ihr beinahe bis in die Hälfte derselben, wendete sich dann um und ging nach Hause.
Eines Tages, da sie in der einsamen Gasse ging, sah er, daß ihr ein weißes Blättchen entflatterte. Es war wie ein Bildchen, derlei man gerne in Gebetbücher zu legen pflegt. Weil in der Gasse schier keine Leute gingen, so blieb das von dem nachfolgenden Mädchen nicht bemerkte Blatt liegen, bis es Hugo erreichte, der seine Schritte darnach verdoppelte. Er hob es auf. Es war wirklich ein solches Bildchen. Er ging ihr nun schneller nach, bis er sie erreichte. Dann ging er ihr vor, zog seinen Hut und sagte: »Mir scheint, Sie haben etwas verloren.«
Bei diesen Worten reichte er ihr das Blättchen hin.
Als sich aus den weiten schwarzen Falten die junge Hand hervor arbeitete, um das Blättchen zu empfangen, sah er, daß sie zitterte. Sie sagte noch die Worte: »Ich danke.«
Dann wendete sie sich zum Fortgehen, und Hugo kehrte um.
Er ging an den Häusern der vereinsamten Gasse zurück der oben beschriebenen lebhaften zu. Weit draußen rasselten die Wägen, als wären sie in großer Ferne.
Hugo ging nach Hause, und wie er in seiner Stube saß, war ihm, als sei heute der Inbegriff aller Dinge geschehen, und als sei er zu den größten Erwartungen dieses Lebens berechtigt.
Am andern Tage stand er wieder an dem Tore der Kirche von Sankt Peter. Die Messe war aus, die schwarze, altfrauenhafte Gestalt ging heraus, und er sah sie an. Sie ging wieder ihres Weges, und Hugo folgte wieder von großer Ferne, und wendete wieder in der ersten Hälfte der einsamen Gasse um. So dauerte es längere Zeit.
Einmal aber nahm er sich den Mut – er ging schneller hinter ihr, ging ihr in der einsamen Gasse vor und grüßte sie, indem er den Hut abnahm. Er sah, wie sie den Schleier ein wenig seitwärts zog und ihm dankte.
Dieses geschah nun öfter, und endlich alle Tage. Wenn Hugo in die einsame Gasse einbog, sah er deutlich, wie sie die geliebten Schritte hinter sich schallen hörte, daß sie zögere – und wenn er sie eingeholt und scheu gegrüßt hatte, so zog sie den Schleier empor, und ein sehr süßes Lächeln ging in ihrem Antlitze auf.
Eines Tages, da sie sich wieder grüßten, trat er versuchend etwas näher. Es schien ihr nicht zu mißfallen, sie verzögerte ihren Schritt, und das begleitende Mädchen blieb auch hinter ihr stehen. Er sprach einige Worte, er wußte nicht was – sie antwortete, man verstand es auch nicht; aber beide hatten sie ein neues Gut erworben, den Klang ihrer Stimmen, und dieses Gut trugen sie sich nach Hause.
Der ganze lange, leere Tag war nun übrig.
Wie es das letzte Mal gewesen ist, wurde es nun alle künftigen Male. Eine verschleierte, schwarzgekleidete alte Frau ging jeden Tages gegen elf Uhr vormittags aus der Kirche von Sankt Peter, sie ging über die belebten Plätze, sie bog in die einsame, breite Straße der Paläste ein, und dort trat ein schöner Jüngling auf sie zu. Ihr Schleier legte sich zurück, und ein wunderhaft schönes Mädchenantlitz löste sich aus seinen Falten, um zu grüßen. Dann blieben sie bei einander stehen und redeten mit einander. Sie redeten von verschiedenen Dingen, meistens waren es die gewöhnlichen des Tages, von denen alle anderen Menschen auch reden. Dann grüßten sie noch einmal, und gingen auseinander.
Für Hugo war es eine neue Zeit. Ein Vorhang hatte sich entzwei gerissen, aber er sah noch nicht, was dahinter stand. Das blinde Leben hatte auf einmal ein schönes Auge aufgeschlagen – aber er verstand den Blick noch nicht.
Er arbeitete in seiner Stube. Der Tag hatte einen einzigen Augenblick: das andere war die Vorbereitung dazu, und das Nachgefühl davon.
In dieser
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