Werke
nieder als einen Zoll. Das Knöllchen hüpft einige Handbreit weiter auf der Dachsenkung des Berges hinab. Ehe man drei mal die Augen schließen und öffnen kann, springt schon ein riesenhaftes Haupt über die Bergesstufen hinab, von unzähligen Knöllchen umhüpft, die es schleudert und wieder zu springenden Häuptern macht. Dann schießts in großen Bögen. Längs der ganzen Bergwand wird es lebendig und dröhnt. Das Krachen, welches man sodann herauf hört, als ob viele tausend Späne zerbrochen würden, ist der zerschmetterte Wald, das leise Ächzen sind die geschobenen Felsen – dann kommt ein wehendes Sausen, dann ein dumpfer Knall und Schlag – – dann Totenstille – nur daß ein feiner, weißer Staub in der Entfernung gegen das reine Himmelsblau empor zieht, ein kühles Lüftchen vom Tal aus gegen die Wange des Wanderers schlägt, der hoch oben auf dem Saumwege zieht, und daß das Echo einen tiefen Donner durch alle fernen Berge rollt. Dann ist es aus, die Sonne glänzt, der blaue Himmel lächelt freundlich, der Wanderer aber schlägt ein Kreuz und denkt schauernd an das Geheimnis, das jetzt tief unten in dem Tale begraben ist.
So wie die Sage das Beginnen des Schneesturzes erzählt, ist es oft mit den Anfängen eines ganzen Geschickes der Menschen.
Als Hugo der sonderbaren Bitte des alten Mannes folgte und in die Kirche von Sankt Peter ging, als er mit dem Manne geredet hatte und sich dann auf dem Heimwege befand, hielt er das Geschehene für das unbedeutendste Ereignis seines Lebens, ja er hielt es für gar kein Ereignis, und hatte gewiß nicht gedacht, daß das Ding der Anfangspunkt eines Geschickes sei, das bestimmt war, seinem Leben eine ganz andere Gestalt zu geben, als es sonst wahrscheinlich gehabt haben würde.
Jetzt, da er dachte, daß er vielleicht mit seiner Unbekannten in eine nähere Verbindung kommen würde, erkannte er schon die Wichtigkeit, die jener Zufall auf sein künftiges Leben ausüben könnte.
Die acht Tage, welche sie sich bedungen hatte, waren vorüber gegangen, und es war der Tag gekommen, an welchem er vor dem Kirchentore harren sollte. Als die Glocke zehn Uhr schlug, stand er schon an dem Tore. Kurz darauf begannen drinnen die frommen Orgeltöne, und es mischte sich der ruhige Gesang der Kirche unter sie. Ein Glöcklein klang etwas später – es klang wie jenes Morgenglöcklein, da er vom Vaterhause scheiden mußte. Als nach dem Ende der Messe der Gesang des Dreimal Heilig anfing, erinnerte er ihn an den Gesang der Gemeinde, der an Sonntagnachmittagen gerne in der Kirche im Gebirge ertönte, zu welcher das Haus seines Vaters gehörte, und zu welcher sie immer gingen, ihre Andacht zu verrichten.
Der Gesang wurde endlich aus, und in der Kirche geschah der Segen. Aber ehe nach Beendigung des Gottesdienstes der erste Mensch aus dem Tore heraus trat, fahr ein Wagen rasch vor dasselbe vor und hielt. Hugo schaute hin, und sah, daß jenes grau gekleidete Mädchen, welches der schwarzen Gestalt immer aus der Kirche gefolgt war, ganz allein darinnen saß und ihm winkte, hinzu zu kommen. Er ging zu dem Fenster des Wagens hinzu, welches von dem Mädchen herab gelassen worden war, und das Mädchen sagte ihm, daß ihn ihre Gebieterin bitten lasse, in diesen Wagen einzusteigen. Hugo tat es, und als er auf dem Kissen Platz genommen hatte, fuhr der Wagen fort. Das Mädchen zog nun aus dem Beutel, den es am Arme hängen hatte, einen Brief hervor und sagte, diesen hätte ihr ihre Gebieterin gegeben, damit sie ihm denselben einhandige und er ihn während des Fahrens lesen möge. Hugo riß schnell das Siegel auf, entfaltete das Papier, und eine sehr schöne, fließende Frauenhandschrift trat seinen Augen entgegen. Die Worte aber, welche diese Frauenhandschrift enthielt, lauteten folgender Maßen: ›Ich lasse Sie recht gerne in mein Haus eintreten, wie Sie gebeten haben, so wie ich recht gerne Ihren Gruß und Ihre sanften Aufmerksamkeiten vor der Kirche und in jener Gasse angenommen habe. Aber eine Bitte muß ich tun, ehe Sie mein Haus betreten, welche Sie gewiß erfüllen werden, da Sie so sind, wie ich Sie mir gleich, da ich Sie das erste Mal sah, vorgestellt habe. Es walten über meinem Schicksale einige Schwierigkeiten, deren Herr ich nicht bin, wenigstens jetzt noch nicht bin, fragen Sie mich daher nicht, wer ich bin, woher ich gekommen sei, und in welchen Verhältnissen ich lebe. Prüfen sie in meinen Gesprächen und in meinem Umgange meine Seele und mein Wesen, ob diese für sich
Weitere Kostenlose Bücher