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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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stehen und schaute in die Gegend hinaus. Es war unterdessen schon der Abend gekommen. Einige Berge lagen mit dunkeln Wolkenstücken in Umarmung, andere ragten wie glühende Kohlen aus den Trümmern, und Inseln blassen Himmels schillerten ungesehen über dem Haupte des Jünglings. Dieser schaute in das Bild so hinaus, bis nach und nach alles verglomm und erlosch, und nichts mehr als die dichte Finsternis da war.
    In derselben ging er, an den schwarzen Geistern der Bäume vorbei, langsam und nachdenkend in das Haus.
    Er hatte beschlossen, morgen doch die Insel zu verlassen.
    Als die Zeit des Abendessens gekommen war, begab er sich aus seinem Gemache über den Gang ins Speisezimmer. Der Oheim saß schon an dem Tische, und sofort wurde aufgetragen. Der Greis eröffnete dem Jünglinge, daß der alte Christoph von der Hul die Nachricht gebracht habe, daß der Fischer morgen mit Tagesanbruch an dem Landungsplatze harren werde, wo er Victor bei seiner Ankunft ausgesetzt habe.
    »Du kannst also«, schloß der Oheim, »morgen nach dem Frühstücke fort fahren, wenn du es dir so vorgenommen hast; denn du bist vollkommen dein Herr und kannst tun, wie es dir gefällt.«
    »Ich habe mir wohl in den Sinn genommen, morgen fort zu reisen,« entgegnete Victor, »aber ich lege es doch in Eure Hand, Oheim, und werde tun, was Ihr für gut haltet.«
    »Wenn es so ist,« sagte der Oheim, »so halte ich, wie ich schon am Mittage sagte, für gut, daß du morgen gehest. Was die Zukunft bringen kann, das bringt sie, und wie du meinen Rat befolgen willst, so befolgst du ihn. Du bist in allen Stücken ohne Bande.«
    »Ich werde also morgen den Fischer auf dem Landungsplatze aufsuchen«, entgegnete Victor.
    Diese Worte waren die einzigen, welche die zwei Verwandten über ihre Verhältnisse während des Abendessens gesprochen haben. Über fremde Gegenstände redeten sie noch mehreres. Namentlich erzählte der Oheim, daß der alte Christoph schon vor dem Gewitter in die Hul hinaus gefahren sei, daß das Gewitter dort und besonders gegen den Ausfluß der Afel hin fürchterlich gewirtschaftet habe, es seien bei dem Bergsturze neue und zwar ungeheure Trümmer herabgefallen, und es habe das Wasser die Ufer in erschreckender Weise ausgestoßen.
    »Und bei uns, da es über die Grisel ging,« fuhr er fort, »war es so sanft und zahm, daß es mir die Blumen gut befeuchtete und kaum einige von ihren Stäben herabgeschlagen hat. Christoph, der nach dem Gewitter herüber gefahren war, wunderte sich, daß er bei uns so wenig Verwüstung antraf.«
    Als das Abendmahl vorüber war, wünschten sich die beiden Verwandten zum letzten Male gute Nacht und begaben sich zu Bette. Nur Victor packte noch, und wie er dachte, dieses Mal gewiß mit Erfolg, sein Ränzchen und richtete sich die Reisekleider auf einen Sessel.
    Als der andere Morgen anbrach, kleidete er sich in diese Kleider, nahm seinen Reisestab in die Hand und hing das Ränzlein mit einem der Tragriemen an seinen Arm. Der Spitz, der das alles verstand, tanzte vor Freuden.
    Das Frühstück wurde unter unbedeutenden Gesprächen verzehrt.
    »Ich werde dich bis zu dem Gitter begleiten«, sagte der Oheim, als Victor aufgestanden war, sein Ränzlein auf den Rücken genommen hatte und Miene machte, sich zu beurlauben.
    Der Greis war in ein Nebenzimmer gegangen und mußte dort auf eine Feder gedrückt haben, oder sonst einer Vorrichtung zugegangen sein; denn Victor hörte in dem Augenblicke das Rasseln des Gitters und sah durch das Fenster, wie dasselbe sich langsam öffnete.
    »So,« sagte der Oheim, indem er heraus ging, »es ist in Bereitschaft.«
    Victor griff nun nach dem Stabe und setzte seinen Hut auf das Haupt. Der Greis ging mit ihm über die Treppe hinab und über den Gartenplatz bis zu dem Gitter. Beide sagten sie auf dem Wege kein Wort. An dem Tore blieb der Oheim stehen, zog ein Päckchen aus der Tasche und sagte: »Hier hast du die Papiere.«
    Victor aber antwortete: »Erlaubt mir, Oheim, daß ich sie nicht annehme.«
    »Was? nicht annehmen? was kömmt dir denn bei?«
    »Erlaubt es mir, und tut meinen Gefühlen keine Gewalt an,« sagte Victor, »lasset mir in diesem Dinge meine Weise, daß Ihr seht, daß ich uneigennützig bin.«
    »Ich zwinge dich nicht«, sagte der Greis, und schob seine Papiere wieder in die Tasche.
    Victor sah ihn eine Weile an. Aus den hellen Augen drangen ihm die schimmernden Tränen – Zeugen eines tiefen Gefühles – dann bückte er sich plötzlich nieder und küßte heftig

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