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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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nicht weit gehen, ohne müde zu werden und sich zu erhitzen – die rechte Schläfe pochte ihm zuweilen, und zuweilen die linke wenn der Kopf nicht brauste und Mücken flogen, so war die Brust gepreßt oder stach die Milz – er hatte die wechselnden Fröste und die ziehenden Füße der Nervenkrankheiten – die plötzlichen Wallungen deuteten auf Erweiterung der Blutgefäße – und so war noch vieles. Er konnte jetzt auch nie mehr ordentlich hungrig werden, wie einst so köstlich in seiner Kindheit, obwohl er statt dessen eine falsche Begehrungsempfindlichkeit hatte, die ihn stets reizte, alle Augenblicke zu essen.
    So weit war es mit Herrn Tiburius gekommen. Manche Menschen hatten Mitleiden mit ihm, und manches Mütterlein sagte sogar voraus, er werde es nicht lange mehr treiben. Aber er trieb es doch noch immer fort. Zuletzt redete man gar nicht mehr von ihm, weil er doch nicht sterben konnte; sondern nahm ihn als einen hin, der eben ist, wie er ist; oder man sprach von ihm bloß in der Art, wie man von einem spricht, der schon einmal etwas Ungewöhnliches an sich hat, wie zum Beispiele einen schiefen Hals, oder schrecklich schielende Augen, oder einen Kropf. Mancher, wenn er an dem Landhause mit den verschlossenen Fenstern vorüber ging, schaute hinauf und dachte, wie er doch das Vermögen da oben, wenn er es hätte, so ganz anders genießen würde als der verworrene Herr. Die lange Weile und die Öde hatten ihre breite Fahne über das Landbaus des Herrn Tiburius ausgebreitet, im Garten standen die einförmigen Arzneikräuter, die er pflanzen zu lassen angefangen hatte, und ein Schalk behauptete, die Hähne krähten viel trauriger innerhalb der Gemarkungen seines Hofes als anderswo.
    Somit wären wir denn so weit gelangt, das Elend des Herrn Tiburius einzusehen – wir gehen nun zu dem freudigern Ereignis über, wie er wieder aus diesem Abgrunde heraus gekommen und alles das geworden ist, was wir am Eingange dieser Geschichte so rühmlich von ihm erwähnt haben.
    Da war ein Mann in der Gegend, von dem die Leute ebenfalls sagten, daß er ein großer Narr sei. Von diesem Manne ging plötzlich das Gerücht, daß er den Herrn Tiburius behandle. Der Mann war allerdings ein Doktor der Heilkunde, aber er heilte nichts, obgleich viele sein schriftliches Befugnis hiezu gesehen hatten; sondern er war eines Tages in die Gegend gekommen, hatte ein schlechtes Bauernhaus, dessen Besitzer im Abwirtschaften begriffen war, samt Garten, Feldern und Wiesen gekauft, baute das Haus um und trieb Landbau und Obstzucht. Wenn aber doch einer zu ihm kam, der ein Übel hatte, so gab er ihm keine Arznei, sondern schickte ihn fort und verschrieb ihm viel Arbeit, ein besseres Essen, als er bisher hatte, und ein angelweites Öffnen aller Fenster seiner Wohnung. Da nun die Leute sahen, daß er mit der Doktorei nur Schalksnarrheit treibe und statt der Mittel nur lauter natürliche Dinge verordne, kam keiner mehr zu ihm, und sie ließen ihn fahren. Hinter seinem Hause hatte er ein ganzes Feld voll rutendünner Bäumchen, auf die er sehr achtete, und in einem gläsernen Gebäude standen auch Ruten mit grünen, lederglänzenden Blättern, die niemand kannte. So wie nun ein Narr den andern anzieht, sagten sie, hätte Herr Tiburius zu dem einzigen Manne Vertrauen und nehme von ihm Mittel.
    Das war aber eigentlich nicht wahr, sondern die Sache verhielt sich so: da Herr Tiburius sich um alles, was Arzneiwissenschaft angeht, sehr bekümmerte, meinten seine Leute ihm einen Gefallen zu tun, wenn sie ihm von dem neuen Doktor erzählten, der das Querleithenhaus gekauft habe und nun dort wirtschafte. Der Zimmerdiener des Herrn Tiburius sprach ein paar Male davon, ohne daß der Herr Tiburius sonderlich darauf achtete; aber wie der Himmel zuweilen ganz wunderliche Wege einschlägt, damit sich das Schicksal eines Menschen erfülle, geschah es auch hier, daß Herr Tiburius in einer Schrift des alten, nun bereits schon seit langer Zeit seligen Haller auf eine Stelle geriet, die offenbar einen Widerspruch in sich ent hielt, das heißt in so ferne offenbar, als man ein Arzneigelehrter ist – für einen andern war die Rede weder so noch so verständlich – in so ferne aber doch wieder nicht ganz offenbar, als es zweifelhaft war, ob man ein Arzneigelehrter sei oder nicht. In diesen Zweifeln, die den Herrn Tiburius quälten, fiel ihm wieder wunderbarer Weise der neuangekommene Doktor ein, obwohl sein Diener schon lange nicht mehr von ihm gesprochen hatte. Hier

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