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Gnadenlose Gedanken (German Edition)

Gnadenlose Gedanken (German Edition)

Titel: Gnadenlose Gedanken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wagner
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    Ich weiß noch sehr genau, wann und wo es das erste Mal geschah. Eigentlich geschah es nicht, es
ereignete
sich. Das erste Mal, nachdem ich aus dem Krankenhaus entlassen worden war, hatte ich mich ohne Begleitung aus dem Haus getraut. Auch nach den vielen Wochen in der Reha-Klinik hatte ich mich immer noch nicht an den Rollstuhl gewöhnen können.
    Nun stand ich an der Supermarktkasse, hatte ein paar Waren, die ich mehr oder weniger dringend benötigte, auf meinem Schoß deponiert, und versuchte die neugierigen Blicke der anderen Kunden zu ignorieren.
     
    In wenigen Tagen würde ich meinen zwanzigsten Geburtstag feiern, obwohl ich eigentlich tot sein müsste.
    Nach dem Unfall hatte ich mehr als nur Glück gehabt. Im Grunde hätte ich doch sterben müssen. Dies hatte ich mir auch in den vielen Wochen, die ich voller Selbstmitleid im Krankenbett gelegen hatte, immer wieder gewünscht. Dass ich nicht gestorben war, hielt ich damals eher für eine Strafe als für einen Glücksfall. Ich tat mir so leid! Drei Monate vor den Europameisterschaften war innerhalb von wenigen Augenblicken meine Karriere als Schwimmer beendet gewesen. Ausgerechnet im Wasser fand sie ihr Ende. Wie hatte ich nur so dämlich sein können?!
     
    Es war nach der Abiturfeier gewesen. Mit ein paar Kumpeln hatte ich den Heimweg angetreten, irgendwann erreichten wir die kleine Brücke, die schon so oft eine wichtige Rolle in meinem Leben gespielt hatte. Hier hatte ich mich das erste Mal in meinem Leben geprügelt, (und natürlich das erste blaue Auge kassiert!), hier hatte ich das erste Mal ein Mädchen geküsst. Und unter dieser kleinen Brücke hatte ich vor über fünfzehn Jahren meine ersten Schwimmversuche unternommen. Mittlerweile war ich schon zweimal Deutscher Jugendmeister geworden, und ich galt als sicherer Kandidat für eine Medaille bei den kommenden Jugendeuropameisterschaften.
    Doch mein Übermut und mein Stolz hatten diese Hoffnungen jäh zerstört.
     
    Als Jürgen anzweifelte, dass ich nach den zehn oder elf Bieren noch in der Lage sei, von der Brücke zu springen, konnte ich natürlich nicht anders, als ihm das Gegenteil beweisen zu müssen. Obwohl ich wusste, dass er es nicht allzu ernst gemeint hatte, nahm ich die Herausforderung an, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern.
     
    Als ein junger Mann mit einem erstklassigen Abitur, welches ihm alle Türen öffnen würde, und als
die
Hoffnung des Deutschen Schwimmverbandes, sprang ich in den kleinen Fluss. Aber als Krüppel, der nie wieder seine Beine benutzen würde, wachte ich im Krankenhaus wieder auf. Mein junges Leben war mit einem Schlag auf den Kopf gestellt worden. Was gestern noch weiß war, das war heute plötzlich schwarz. Und ich war nicht in der Lage, dies auch nur ein wenig zu beeinflussen. Ich sah noch nicht einmal eine Chance, mir ein trübes Grau mischen zu können.
     
    Die Ärzte waren von Anfang an offen zu mir gewesen. Sie machten mir keine falschen Hoffnungen, ich würde nie wieder Laufen können, auch nicht mit Hilfe von Krücken. Keine Chance. Was mir blieb, waren mein Selbstmitleid und mein Rollstuhl.
     
    Eine Querschnittslähmung verändert nicht nur deinen Körper, deine Mobilität. Nein, vor allen Dingen verändert sie deinen Kopf. Da bist du wirklich behindert! Dein Hirn sagt dir, dass du eine Null bist, die absolut unbrauchbar ist. Dein Kopf rät dir, mit dem Leben Schluss zu machen, da du doch eigentlich sowieso schon am Ende bist. Dein Kopf sagt dir, dass du aus dem achten Stock des Krankenhauses springen sollst, und dein Kopf sagt dir dann auch, dass du es nicht machen kannst, weil deine Beine dich bei dem Versuch im Stich lassen würden.
     
    Ich hatte nur noch meine Eltern, die allerdings noch hilfloser waren als ich. Wenn sie mich besuchten, dann konnte ich in den Augen meiner Mutter sehr genau erkennen, dass sie die gesamte Fahrt über Tränen des Mitleides geweint hatte. In den Blicken meines Vaters erkannte ich nur stumme Vorwürfe. Vorwürfe, die er mir natürlich, schon alleine aus Rücksicht auf meine Mutter, nie laut machte. Wahrscheinlich gestand er sie sich noch nicht einmal selber ein. Sie waren ihm wohl gar nicht bewusst. Doch seine Augen klagten mich an. Deshalb konnten wir uns auch nicht in die Augen sehen. Meine Mutter war eigentlich ganz tapfer, wenn man bedachte, wie sehr sie an mir hing. Schließlich war ich ein typisches Einzelkind, und kostete dies auch mit allen Annehmlichkeiten aus. Ich bewohnte zwar eine eigene

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