Werke
schimmerten einzelne weiße Punkte von Häusern. Das Tiefland war von den Morgennebeln befreit, es lag samt dem Hochgebirge, das es gegen Süden begrenzte, überall sichtbar da und säumte weithinstreichend das abgeschlossene Hügelgelände, auf dem wir fuhren, wie eine entfernte, duftige, schweigende Fabel. Von Menschentreiben darin war kaum etwas zu sehen, nicht die Begrenzzungen der Felder, geschweige eine Wohnung, nur das blitzende Band des Stromes war hie und da durch das Blau gezogen. Es war unsäglich, wie mir alles gefiel, es gefiel mir bei weitem mehr als früher, da ich das erste Mal dieses Land mit meinem Gastfreunde genauer besah. Ich tauchte meine ganze Seele in den holden Spätduft, deralles umschleierte, ich senkte sie in die tiefen Einschnitte, an denen wir gelegentlich hin fuhren, und übergab sie mit tiefem innerem Abschlusse der Ruhe und Stille, die um uns waltete.
Als wir einmal einen langen Berg emporklommen, dessen Weg einerseits an kleinen Felsstücken, Gestrippe und Wiesen dahinging, andererseits aber den Blick in eine Schlucht und jenseits derselben auf Berge, Wiesen, Felder und entfernte Waldbänder gewährte, als die Wägen voran gingen, und die ganze Gesellschaft langsam folgte, vielfach stehen bleibend und sich besprechend, geriet ich neben Natalien, die mich, nachdem wir eine Weile geschwiegen hatten, fragte, ob ich noch das Spanische betreibe.
Ich antwortete ihr, daß ich es erst seit kurzem zu lernen begonnen habe, daß ich aber seit der Zeit immer darin fortgefahren sei, und daß ich zuletzt mich an Calderon gewagt habe.
Sie sagte, von ihrer Mutter sei ihr das Spanische empfohlen worden. Es gefalle ihr, sie werde nicht davon ablassen, so weit nämlich ihre Kräfte darin ausreichen, und sie finde in dem Inhalte der spanischen Schriften, besonders in der Einsamkeit der Romanzen, in den Pfaden der Maultiertreiber und in den Schluchten und Bergen eine Ähnlichkeit mit dem Lande, in dem wir reisen. Darum gefalle ihr das Spanische, weil ihr dieses Land hier so gefalle. Sie würde am liebsten, wenn es auf sie ankäme, in diesen Bergen wohnen.
»Mir gefällt auch dieses Land,« erwiderte ich, »es gefällt mir mehr, als ich je gedacht hätte. Da ich zum ersten Male hier war, übte es auf mich schier keinen Reiz aus, ja mit seinem raschen Wechsel und doch mit der großen Ähnlichkeit aller Gründe stieß es mich eher ab, als es mich anzog. Da ich mit unserem Gastfreunde später einmal einen größeren Teil bereiste, war es ganz anders, ich fand mich zu dieser Weitsicht und Beschränktheit, zu dieser Enge und Großartigkeit, zu dieser Einfachheit und Mannigfaltigkeit hingeneigt. Ich fühlte mich bewegt, obwohl ich an ganz andere Gestalten gewohnt war und sie liebte, nämlich an die des Hochgebirges. Heute aber gefällt mir alles, was uns umgibt, es gefällt mir so, daß ich es kaum zu sagen im Stande bin.«
»Seht, das geht immer so«, erwiderte sie. »Als ich mit meinem Vater zum ersten Male hier war, freilich befand ich mich noch in den Kinderjahren, war mir das unaufhörliche Auf- und Abfahren so unangenehm, daß ich mich auf das äußerste wieder in unsere Stadt und in deren Ebenen zurück sehnte. Nach langer Zeit fuhr ich mit der Mutter durch diese Gegenden und später wiederholt in derselben Gesellschaft wie heute, außer Euch, und jedes Mal wurde mir das Land und seine Gestaltungen, ja selbst seine Bewohner lieber. Auch das ist eigentümlich und angenehm, daß man Wagenreisen und Fußreisen verbinden kann. Wenn man, wie wir jetzt tun, die Wägen verläßt und einen langen Berg hinan geht, oder ihn hinab geht, wird einem das Land bekannter, als wenn man immer in dem Wagen bleibt. Es tritt näher an uns. Die Gesträuche an dem Wege, die Steinmauern, die sie hier so gerne um die Felder legen, ein Birkenwäldchen mit den kleinsten Dingen, die unter seinen Stämmen wachsen, die Wiesen, die sich in eine Schlucht hinab ziehen, und die Baumwipfel, welche aus der Schlucht herauf sehen, hat man unmittelbar vor Augen. In Ebenen eilt man schnell vorbei. Hier ist gerade so eine Schlucht, wie ich sprach.«
Wir blieben ein Weilchen stehen und sahen in die Schlucht hinab. Beide sprachen wir gar nichts. Endlich fragte ich sie, woher sie denn wisse, daß ich die spanische Sprache lerne.
»Unser Gastfreund hat es uns gesagt,« erwiderte sie, »er hat uns auch gesagt, daß Ihr Calderon leset.«
Nach diesen Worten gingen wir weiter. Die andere Gesellschaft, welche vor uns gewesen war, blieb im
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