Blonder Kugelfang
1
Tracy Nash war etwa dreißig,
eine kühle Brünette mit glattem, kurzem Haar, kalten Augen und knabenhafter
Figur. Sie trug einen dünnen Nylonpullover, den zwei kleine Beulen belebten,
und eine engsitzende schwarze Hose, die ihre langen, gutgewachsenen Beine zur
Geltung brachte. Sie wirkte zwar feminin, aber ich hatte trotzdem meine
Zweifel.
»Sie also sind Rick Holman «, sagte sie, als wir ins Wohnzimmer traten. »Der
Mister Alleskleber des Schaugeschäfts, an den man sich mit seinen
allerprivatesten Problemen wenden kann.«
»Reden Sie immer so?« erkundigte
ich mich. »Oder ist es meine Schuld, daß Sie sich von Ihrer schlechtesten Seite
zeigen?«
»Sie sind ein Mann«, antwortete
sie, »und ich mag Männer nicht. Mich mit einem männlichen Chauvinistenschwein zu unterhalten, fällt mir immer schwer.«
»Zur Zeit berechne ich hundert
Dollar pro Stunde für Beleidigungen.« Ich sah auf meine Uhr. »Bisher beträgt
die Gebühr zwei Dollar und zehn Cents für Sie.«
»Okay.« Nun mußte sie doch
lächeln. »Ich will mich nicht mit Ihnen streiten. Tut mir leid. Mr. Holman , ich wollte Sie engagieren.«
»Wozu?«
»Sie haben doch schon von
Samantha Pike gehört?«
»Der Sängerin?«
»Sängerin?« Tracy Nash verzog
das Gesicht. »Ihr Wortschatz ist wirklich begrenzt, Mr. Holman .
Samantha ist als Königin der Rockballade bekannt. Letztes Jahr betrug ihr
Bruttoeinkommen weit über eine Million Dollar. Wenn sie irgendwo auf der Welt
auftritt, sind ihre Konzerte schon wochenlang vorher ausverkauft.«
»Allerhand«, sagte ich.
»Aber Samantha hat große
Sorgen, und wir möchten gern, daß Sie ihr helfen.«
»Wer, wir?«
»Ich als Samanthas Impresario
und auch beste Freundin.«
»Was sind das also für Sorgen?«
»Samstag, Sonntag und Montag«,
antwortete sie. »Ein ganzes Wochenende. Samantha ist ein ganzes langes
Wochenende abhanden gekommen , Mr. Holman .
Sie erinnert sich nicht an die kleinste Einzelheit, die ihr Freitag
nacht bis Dienstag morgen zugestoßen ist.«
»Gedächtnisschwund?«
»Keine Ahnung.« Tracy zögerte.
»Obwohl ich nicht glaube, daß es sich um ein medizinisches Problem handelt.
Nein, ich tippe auf etwas sehr viel Schlimmeres. Aber vielleicht wäre es
besser, wenn sie selbst Ihnen alles erzählte?«
»Gern«, stimmte ich zu.
»Im Augenblick ruht sie sich
noch aus«, informierte mich Tracy. »Wir hatten — na ja — , man könnte es einen
kleinen Streit nennen. Erst hinterher wurde mir klar, welch furchtbare Probleme
sie hat. Da rief ich eine gute Freundin an und schilderte ihr meine Sorgen; sie
hat mir dann Sie empfohlen.«
»Drei ganze Tage — und sie kann
sich an keinen Augenblick davon erinnern?« fragte ich.
»Nein, an keinen einzigen.«
»War sie blau oder high?«
»Samantha hat in ihrem ganzen
Leben noch kein Rauschgift genommen«, antwortete Tracy mit Überzeugung. »Und
sie trinkt auch nicht.«
»Hat jemand dafür gesorgt, daß
sie die ganze Zeit bewußtlos war?«
»Unmöglich. Sie ist in diesen
drei Tagen von anderen gesehen worden.«
»Daran erinnert sie sich
immerhin?«
»Nein, die anderen erinnern
sich.« Wieder verzog sie das Gesicht. »Aber ich glaube, es wäre besser, wenn
Sie das alles von Samantha selbst hören würden. Danach kann ich Ihnen ja noch
Einzelheiten erzählen. Aber gehen Sie schonend mit ihr um, sie ist immer noch
fürchterlich durcheinander.«
»Sollten Sie statt eines
Privatdetektivs nicht lieber einen Psychiater engagieren?«
»Nein«, sagte sie knapp.
Unvermittelt drehte sie sich um
und verschwand aus dem Zimmer. Das Haus lag in Bel Air und war ganz hübsch,
aber die Möbel wirkten so unpersönlich, daß es gemietet sein mußte. Meiner
Schätzung nach war Samantha Pike ein medizinischer Fall, und wenn ich den Auftrag
überhaupt annahm, dann nur mit Samthandschuhen. Gleich darauf kehrte Tracy Nash
zurück, mit der Königin der Rockballade im Gefolge.
Samantha Pike war blond und
Ende Zwanzig. Helles, weizengelbes Haar umtanzte ihre Schultern, und ihre
dunkelblauen Augen blickten unschuldig in die Welt. Der Schmollmund mit der
vollen Unterlippe verriet ungezügelte Sinnlichkeit. Unter dem blauen
Satinpyjama wippten volle Brüste, und das ganze Mädchen wirkte so
begehrenswert, daß es mir an Tracy Nash verschwendet schien.
»Samantha, Liebste«, gurrte
Tracy Nash, »dies ist Rick Holman .«
»Ich will aber niemanden
sehen«, protestierte die Blondine fast flüsternd. »Sag’ ihm, er soll
verschwinden.«
»Wir sitzen schon
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