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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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Sie stürzte an meine Brust. Wir umschlangen uns fest und weinten beide beinahe laut.
    »Meine teure, meine einzige Natalie!« sagte ich.
    »O mein geliebter, mein teurer Gatte,« antwortete sie, »dieses Herz gehört nun ewig dir, habe Nachsicht mit seinen Gebrechen und seiner Schwäche.«
    »O mein teures Weib,« entgegnete ich, »ich werde dich ohne Ende ehren und lieben, wie ich dich heute ehre und liebe. Habe auch du Geduld mit mir.«
    »O Heinrich, du bist ja so gut«, antwortete sie.
    »Natalie, ich werde suchen, jeden Fehler dir zu Liebe abzulegen,« erwiderte ich, »und bis dahin werde ich jeden so verhüllen, daß er dich nicht verwunde.«
    »Und ich werde bestrebt sein, dich nie zu kränken«, antwortete sie.
    »Alles wird gut werden«, sagte ich.
    »Es wird alles gut werden, wie unser zweiter Vater gesagt hat«, antwortete sie.
    Ich führte sie näher an das Fenster, und da standen wir und hielten uns an den Händen. Die Frühlingssonne schien herein, und neben den Diamanten glänzten die Tropfen, die auf ihr schönes Kleid gefallen waren.
    »Natalie, bist du glücklich?« sagte ich nach einer Weile.
    »Ich bin es im hohen Maße,« antwortete sie, »mögest du es auch sein.«
    »Du bist mein Kleinod und mein höchstes Gut auf dieser Erde,« erwiderte ich, »es ist mir noch wie im Traume, daß ich es errungen habe, und ich will es erhalten, so lange ich lebe.«
    Ich küßte sie auf den Mund, den sie freundlich bot. In ihre feinen Wangen war das Rot zurückgekehrt.
    In diesem Augenblicke hörten wir Tritte in dem Nebenzimmer, und Mathilde, meine Mutter, Risach, mein Vater und Klotilde, die uns gesucht hatten, traten ein.
    »Mutter, teure Mutter,« sagte ich zu Mathilden, indem ich allen entgegen ging, Mathildens Hand faßte und sie zu küssen strebte. Mathilde hatte sich nie die Hand von irgend jemanden küssen lassen. Dieses Mal erlaubte sie, daß ich es tue, indem sie sanft sagte: »Nur das eine Mal.«
    Dann küßte sie mich auf die Stirne und sagte: »Sei so glücklich, mein Sohn, als du es verdienst, und als es die wünscht, die dir heute ihr halbes Leben gegeben hat.«
    Risach sagte zu mir: »Mein Sohn, ich werde dich jetzt du nennen, und du mußt zu mir wie zu deinem ersten Vater auch dies Wörtchen sagen – mein Sohn, nach dem, was heute vorgefallen, ist deine erste Pflicht, ein edles, reines, grundgeordnetes Familienleben zu errichten. Du hast das Vorbild an deinen Eltern vor dir, werde, wie sie sind. Die Familie ist es, die unsern Zeiten not tut, sie tut mehr not als Kunst und Wissenschaft, als Verkehr, Handel, Aufschwung, Fortschritt, oder wie alles heißt, was begehrungswert erscheint. Auf der Familie ruht die Kunst, die Wissenschaft, der menschliche Fortschritt, der Staat. Wenn Ehen nicht beglücktes Familienleben werden, so bringst du vergeblich das Höchste in der Wissenschaft und Kunst hervor, du reichst es einem Geschlechte, das sittlich verkommt, dem deine Gabe endlich nichts mehr nützt, und das zuletzt unterläßt, solche Güter hervor zu bringen. Wenn du auf dem Boden der Familie einmal stehend – viele schließen keine Ehe, und wirken doch Großes – wenn du aber auf dem Boden der Familie einmal stehst, so bist du nur Mensch, wenn du ganz und rein auf ihm stehst. Wirke dann auch für die Kunst oder für die Wissenschaft, und wenn du Ungewöhnliches und Ausgezeichnetes leistest, so wirst du mit Recht gepriesen, nütze dann auch deinen Nachbarn in gemeinschaftlichen Angelegenheiten, und folge dem Rufe des Staates, wenn es not tut. Dann hast du dir gelebt und allen Zeiten. Gehe nur den Weg deines Herzens wie bisher, und alles wird sich wohl gestalten.«
    Ich reichte ihm die Hand, er zog mich an sich und küßte mich auf den Mund.
    Natalie war indessen in den Armen meiner Mutter, meines Vaters und Klotildens gewesen.
    »Er wird gewiß bleiben, wie er heute ist,« sagte sie, wahrscheinlich auf einen Wunsch für die Zukunft antwortend.
    »Nein, mein teures Kind,« sagte meine Mutter, »er wird nicht so bleiben, das weißt du jetzt noch nicht: er wird mehr werden, und du wirst mehr werden. Die Liebe wird eine andere, in vielen Jahren ist sie eine ganz andere; aber in jedem Jahre ist sie eine größere, und wenn du sagst, jetzt lieben wir uns am meisten, so ist es in kurzem nicht mehr wahr, und wenn du statt des blühenden Jünglings einst einen welken Greis vor dir hast, so liebst du ihn anders, als du den Jüngling geliebt hast; aber du liebst ihn unsäglich mehr, du liebst ihn treuer,

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