Werke
auch alles erzählen, merke wohl auf. Vor hundertundzwanzig Jahren kam ein Mann in unser Tal, das damals fester, dichter Wald war, kaum von einigen Hütten und Feldern unterbrochen. Der Mann hatte niemand als ein wunderschönes Mädchen mitgebracht, war sehr alt, trug einen weißen Bart und dunkle Kleider. Mit Werkleuten und Knechten, die er aufnahm, baute er ein schönes, weißes Haus auf dem Waldabhange und erweiterte um dasselbe den Raum in Gärten und Feldern. Sodann soll er allen, die um ihn wohnten, Gutes getan haben; er soll sie angeleitet, in tausend Dingen unterrichtet und überhaupt weise und ruhig gelebt haben. In jener Zeit geschah es auch, daß mein Urgroßvater, ein wohlhabender, gelehrter Mann und Pflanzenkenner, angezogen durch die wilde Schönheit des Waldtales, sich ebenfalls darin ansiedelte und einähnliches Haus baute wie der eingewanderte Alte. Da nun aber der Urgroßvater noch sehr jung war und, wie die Familiensage spricht, sehr schön, so geschah es wieder, daß sich er und die Tochter des fremden Mannes sehr gefielen und endlich heirateten. Der weise Greis hat noch lange gelebt, und ist an die hundert Jahre alt geworden. Erst bei seinem Tode kam es zu Tage, daß er ein Graf gewesen und Scharnast und Julius geheißen. Es sollen – waren es nun Verwandte oder sonst nur Freunde – vornehme Leute zum Begräbnisse in den Wald gekommen sein; aber wo sie hingeraten, oder ob man noch etwas von ihnen gehört, davon wußte man später nichts mehr. Auch verlor sich die ganze Sage der Abstammung in unserer Familie, wie eine Dämmerung, die vergeht, so, daß kaum einer davon sprach, die andern es nicht glaubten. Denke dir nun, wie mir ward, da der Wirt die Namen nannte, die mir in den Ohren klangen, und die ich kaum heraufbeschwören konnte – denke dir, wie ich in dieses Schloß trete und mich der irre Kastellan als Herrn begrüßt – wie ich auf jenem Bilde in längst verschollenen Kleidern stehe – wie ich als Genosse in den Jugendgeschichten eines uralten Mannes spiele. – – Wenn es nun ist, denke dir, wenn es ist: dann ist jener schöne, sanfte Knabe Julius in Jagdkleidern der weise Greis aus unserm Walde, dann bin ich in die Fichtau gegangen, um Blumen und Steine zu sammeln,und habe das tote Geschlecht meiner Väter gefunden. Wie wunderbar! Warum ich aber jenem andern Bilde einer andern Linie, jenem zweiten Sixtus so ähnlich sehe, weiß ich nicht, wenn es nicht eines jener Familienwunder ist, die sich zuweilen ereignen, daß nämlich in einem Gliede plötzlich wieder dieselbe Bildung hervorspringt, die schon einmal da gewesen, um dann wieder in vielleicht ewige Unterbrechung auseinanderzulaufen oder wenn es nicht ein Fingerzeig des Himmels ist, daß noch ein entfernter Sprößling dieses Geschlechtes lebe, auf den man sonst nie gekommen wäre.«
Robert schüttelte bei diesen letzten Worten seines Freundes fast traurig den Kopf und sagte: »Das ist ja eine erstaunliche, überaus merkwürdige Geschichte, die du da so erzählst, als wäre sie vollkommen einleuchtend – ich erstaune fast vor den Folgen – ich weiß es noch gar nicht, wie sehr ich mich darüber freuen werde – aber vorerst bin ich noch beinahe betrübt darüber; denn siehe, Heinrich, deine Erinnerungen zählen vor Gericht nicht, der Name ist dir dunkel, die Erkennung des Kastellans folgte bloß aus deiner Ähnlichkeit mit jenem Bilde, die selber zufällig ist – ich sehe einer endlosen Sache entgegen. Wird man nicht sagen, du selber habest das Bild malen und dort verstecken lassen, da die Ähnlichkeit zu lächerlich ist? oder was beweist sie am Ende? Sage, hast du außer den Dingen, die du mir erzähltest, weiter nichts, nicht irgendeine kleinste Kleinigkeit, woraus Hoffnung entstände, daß man würde einen Beweis herstellen können?«
»Ich weiß in der Tat sonst nichts,« entgegnete Heinrich, »als daß jener alte Mann Julius Graf Scharnast geheißen, das heißt ich meine, daß er so geheißen, aber ich habe meiner Mutter geschrieben, ob er so geheißen, und ob nicht Schriften von ihm übrig wären. Ich bin nur darum nicht gleich selbst nach Hause gereiset, damit ich noch eher dieses Schloß besuchen und dann mit dir reden könnte, daß du mir als Rechtserfahrner einen Rat gebest. Sobald die Antwort der Mutter da ist, werde ich sie dir mitteilen und dich fragen, was ferner zu tun ist.«
»Es ist gut so,« antwortete Robert, »sage nur keinem Menschen etwas von der Sache, damit nicht entgegengearbeitet werde. Wenn die
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