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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
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Vollkommenheit Anspruch machen kann: und Sie sollen gewonnen haben.«
    »Beim Brama! rief der Sultan und gähnte; Madame hat uns da eine vortreffliche akademische Vorlesung gehalten!«
    »Ich verstehe die Regeln nicht, fuhr die Favoritin fort, und noch weniger die gelehrten Worte, in welchen man sie abgefaßt hat. Aber ich weiß, daß nur das Wahre gefällt und rühret. Ich weiß auch, daß die Vollkommenheit eines Schauspiels in der so genauen Nachahmung einer Handlung bestehet, daß der ohne Unterbrechung betrogne Zuschauer bei der Handlung selbst gegenwärtig zu sein glaubt. Findet sich aber in den Tragödien, die Sie uns so rühmen, nur das geringste, was diesem ähnlich sähe?«
    { ‡ }
Fünf und achtzigstes Stück
    Den 23sten Februar, 1768
    »Wollen Sie den Verlauf darin loben? Er ist meistens so vielfach und verwickelt, daß es ein Wunder sein würde, wenn wirklich so viel Dinge in so kurzer Zeit geschehen wären. Der Untergang oder die Erhaltung eines Reichs, die Heirat einer Prinzessin, der Fall eines Prinzen, alles das geschieht so geschwind, wie man eine Hand umwendet. Kömmt es auf eine Verschwörung an? im ersten Akte wird sie entworfen; im zweiten ist sie beisammen; im dritten werden alle Maßregeln genommen, alle Hindernisse gehoben, und die Verschwornen halten sich fertig; mit nächstem wird es einen Aufstand setzen, wird es zum Treffen kommen, wohl gar zu einer förmlichen Schlacht. Und das alles nennen Sie gut geführt, interessant, warm, wahrscheinlich? Ihnen kann ich nun so etwas am wenigsten vergeben, der Sie wissen, wie viel es oft kostet, die allerelendeste Intrigue zu Stande zu bringen, und wie viel Zeit bei der kleinsten politischen Angelegenheit auf Einleitungen, auf Besprechungen und Beratschlagungen geht.«
    »Es ist wahr, Madame, antwortete Selim, unsere Stücke sind ein wenig überladen; aber das ist ein notwendiges Übel; ohne Hülfe der Episoden würden wir uns vor Frost nicht zu lassen wissen.«
    »Das ist: um der Nachahmung einer Handlung Feuer und Geist zu geben, muß man die Handlung weder so vorstellen, wie sie ist, noch so, wie sie sein sollte. Kann etwas lächerlicheres gedacht werden? Schwerlich wohl; es wäre denn etwa dieses, daß man die Geigen ein lebhaftes Stück, eine muntere Sonate spielen läßt, während daß die Zuhörer um den Prinzen bekümmert sein sollen, der auf dem Punkte ist, seine Geliebte, seinen Thron und sein Leben zu verlieren.«
    »Madame, sagte Mongogul, Sie haben vollkommen Recht; traurige Arien müßte man indes spielen, und ich will Ihnen gleich einige bestellen gehen. Hiermit stand er auf, und ging heraus, und Selim, Riccaric und die Favoritin setzten die Unterredung unter sich fort.«
    »Wenigstens, Madame, erwiderte Selim, werden Sie nicht leugnen, daß, wenn die Episoden uns aus der Täuschung heraus bringen, der Dialog uns wieder herein setzt. Ich wüßte nicht, wer das besser verstünde, als unsere tragische Dichter.«
    »Nun so versteht es durchaus niemand«, antwortete Mirzoza. Das Gesuchte, das Witzige, das Spielende, das darin herrscht, ist tausend und tausend Meilen von der Natur entfernt. Umsonst sucht sich der Verfasser zu verstecken; er entgeht meinen Augen nicht, und ich erblicke ihn unaufhörlich hinter seinen Personen. Cinna, Sertorius, Maximus, Aemilia, sind alle Augenblicke das Sprachrohr des Corneille. So spricht man bei unsern alten Sarazenen nicht mit einander. Herr Ricaric kann Ihnen, wenn Sie wollen, einige Stellen daraus übersetzen; und Sie werden die bloße Natur hören, die sich durch den Mund derselben ausdrückt. Ich möchte gar zu gern zu den Neuern sagen: »Meine Herren, anstatt daß ihr euern Personen bei aller Gelegenheit Witz gebt, so sucht sie doch lieber in Umstände zu setzen, die ihnen welchen geben.«
    »Nach dem zu urteilen, was Madame von dem Verlaufe und dem Dialoge unserer dramatischen Stücke gesagt hat, scheint es wohl nicht, sagte Selim, daß Sie den Entwicklungen wird Gnade widerfahren lassen.«
    »Nein, gewiß nicht, versetzte die Favoritin: es gibt hundert schlechte für eine gute. Die eine ist nicht vorbereitet; die andere eräugnet sich durch ein Wunder. Weiß der Verfasser nicht, was er mit einer Person, die er von Szene zu Szene ganze fünf Akte durchgeschleppt hat, anfangen soll: geschwind fertiget er sie mit einem guten Dolchstoße ab; die ganze Welt fängt an zu weinen, und ich, ich lache, als ob ich toll wäre. Hernach, hat man wohl jemals so gesprochen, wie wir deklamieren? Pflegen die

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