Werke
ereifern, indem ich seiner Geschicklichkeit alles zutraue. »Geschicklichkeit?« fuhr er in seinem Eifer fort, »was ist Geschicklichkeit? – Wer war geschickt? – Jener, der das Maß nahm nach fünf Augenlängen und dann springend dreißig Ellen weit in den Graben stürzte? – Jener, der ein Linsenkorn auf zwanzig Schritte weit durch ein Nähnadelöhr schleuderte? – Jener, der fünf Zentner an den Degen hing und so ihn an der Nasenspitze balancierte sechs Stunden, sechs Minuten, sechs Sekunden und einen Augenblick? – Ha, was ist Geschicklichkeit! Sie ist fremd dem Pietro Belcampo, den die Kunst, die heilige, durchdringt. – Die Kunst, mein Herr, die Kunst! – Meine Phantasie irrt in dem wunderbaren Lockenbau, in dem künstlichen Gefüge, das der Zephirhauch in Wellenzirkeln baut und zerstört. – Da schafft sie und wirkt und arbeitet. – Ha, es ist was Göttliches um die Kunst, denn die Kunst, mein Herr, ist eigentlich nicht sowohl die Kunst, von der man soviel spricht, sondern sie entsteht vielmehr erst aus dem allen, was man die Kunst heißt! – Sie verstehen mich, mein Herr, denn Sie scheinen mir ein denkender Kopf, wie ich aus dem Löckchen schließe, das sich rechter Hand über Dero verehrte Stirn gelegt.« – Ich versicherte, daß ich ihn vollkommen verstände, und indem mich die ganz originelle Narrheit des Kleinen höchlich ergötzte, beschloß ich, seine gerühmte Kunst in Anspruch nehmend, seinen Eifer, seinen Pathos nicht im mindesten zu unterbrechen. »Was gedenken Sie denn«, sagte ich, »aus meinen verworrenen Haaren herauszubringen?« – »Alles, was Sie wollen«, erwiderte der Kleine; »soll Pietro Belcampo, des Künstlers Rat aber etwas vermögen, so lassen Sie mich erst in den gehörigen Weiten, Breiten und Längen Ihr wertes Haupt, Ihre ganze Gestalt, Ihren Gang, Ihre Mienen, Ihr Gebärdenspiel betrachten, dann werde ich sagen, ob Sie sich mehr zum Antiken oder zum Romantischen, zum Heroischen, Großen, Erhabenen, zum Naiven, zum Idyllischen, zum Spöttischen, zum Humoristischen hinneigen; dann werde ich die Geister des Caracalla, des Titus, Karls des Großen, Heinrich des Vierten, Gustav Adolfs oder Virgils, Tassos, Boccaccios heraufbeschwören. – Von ihnen beseelt, zucken die Muskeln meiner Finger, und unter der sonoren zwitschernden Schere geht das Meisterstück hervor. Ich werde es sein, mein Herr, der Ihre Charakteristik, wie sie sich aussprechen soll im Leben, vollendet. Aber jetzt bitte ich, die Stube einigemal auf und ab zu schreiten, ich will beobachten, bemerken, anschauen, ich bitte!«
Dem wunderlichen Mann mußte ich mich wohl fügen, ich schritt daher, wie er gewollt, die Stube auf und ab, indem ich mir alle Mühe gab, den gewissen mönchischen Anstand, den keiner ganz abzulegen vermag, ist es auch noch so lange her, daß er das Kloster verlassen, zu verbergen. Der Kleine betrachtete mich aufmerksam, dann aber fing er an, um mich her zu trippeln, er seufzte und ächzte, er zog sein Schnupftuch hervor und wischte sich die Schweißtropfen von der Stirne. Endlich stand er still, und ich frug ihn, ob er nun mit sich einig worden, wie er mein Haar behandeln müsse. Da seufzte er und sprach: »Ach, mein Herr, was ist denn das? – Sie haben sich nicht ihrem natürlichen Wesen überlassen, es war ein Zwang in dieser Bewegung, ein Kampf streitender Naturen. Noch ein paar Schritte, mein Herr!« – Ich schlug es ihm rund ab, mich noch einmal zur Schau zu stellen, indem ich erklärte, daß, wenn er nun sich nicht entschließen könne, mein Haar zu verschneiden, ich darauf verzichten müsse, seine Kunst in Anspruch zu nehmen. »Begrabe dich, Pietro,« rief der Kleine in vollem Eifer, »denn du wirst verkannt in dieser Welt, wo keine Treue, keine Aufrichtigkeit mehr zu finden. Aber Sie sollen doch meinen Blick, der in die Tiefe schaut, bewundern, ja den Genius in mir verehren, mein Herr! Vergebens suchte ich lange all das Widersprechende, was in Ihrem ganzen Wesen, in Ihren Bewegungen liegt, zusammenzufügen. Es liegt in Ihrem Gange etwas, das auf einen Geistlichen hindeutet. Ex profundis clamavi ad te Domine – Oremus – Et in omnia saecula saeculorum Amen!« – Diese Worte sang der Kleine mit heisrer, quäkender Stimme, indem er mit treuster Wahrheit Stellung und Gebärde der Mönche nachahmte. Er drehte sich wie vor dem Altar, er kniete und stand wieder auf, aber nun nahm er einen stolzen trotzigen Anstand an, er runzelte die Stirn, er riß die Augen auf und sprach: »Mein
Weitere Kostenlose Bücher