Werke
des Schlosses hin und wieder zerbrochen – der Aufgang verfallen. – Keine menschliche Seele ließ sich blicken. – Stumm und starr stand ich da in grauenvoller Einsamkeit. Ein leises Stöhnen drang aus einem noch ziemlich erhaltenen Boskett, und ich wurde einen alten eisgrauen Mann gewahr, der in dem Boskett saß und mich, unerachtet ich ihm nahe genug war, nicht wahrzunehmen schien. Als ich mich noch mehr näherte, vernahm ich die Worte: »Tot – tot sind sie alle, die ich liebte! – Ach, Aurelie! Aurelie – auch du! – die letzte! – tot – tot für diese Welt!« Ich erkannte den alten Reinhold – eingewurzelt blieb ich stehen. – »Aurelie tot? Nein, nein, du irrst, Alter, die hat die ewige Macht beschützt vor dem Messer des freveligen Mörders.« – So sprach ich, da fuhr der Alte, wie vom Blitz getroffen, zusammen und rief laut: »Wer ist hier? – wer ist hier? Leopold! – Leopold!« – Ein Knabe sprang herbei; als er mich erblickte, neigte er sich tief und grüßte: »Laudetur Jesus Christus!« – »In omina saecula saeculorum,« erwiderte ich, da raffte der Alte sich auf und rief noch stärker: »Wer ist hier? – wer ist hier?« – Nun sah ich, daß der Alte blind war. – »Ein ehrwürdiger Herr,« sprach der Knabe, »ein Geistlicher vom Orden der Kapuziner ist hier.« Da war es, als erfasse den Alten tiefes Grauen und Entsetzen, und er schrie: »Fort – fort – Knabe, führe mich fort – hinein – hinein – verschließ die Türen – Peter soll Wache halten – fort, fort, hinein!« Der Alte nahm alle Kraft zusammen, die ihm geblieben, um vor mir zu fliehen wie vor dem reißenden Tier. Verwundert, erschrocken sah mich der Knabe an, doch der Alte, statt sich von ihm führen zu lassen, riß ihn fort, und bald waren sie durch die Türe verschwunden, die, wie ich hörte, fest verschlossen wurde. – Schnell floh ich fort von dem Schauplatz meiner höchsten Frevel, die bei diesem Auftritt lebendiger als jemals vor mir sich wiedergestalteten, und bald befand ich mich in dem tiefsten Dickicht. Ermüdet setzte ich mich an den Fuß eines Baumes in das Moos nieder; unweit davon war ein kleiner Hügel aufgeschüttet, auf welchem ein Kreuz stand. Als ich aus dem Schlaf, in dem ich vor Ermattung gesunken, erwachte, saß ein alter Bauer neben mir, der alsbald, da er mich ermuntert sah, ehrerbietig seine Mütze abzog und im Ton der vollsten, ehrlichsten Gutmütigkeit sprach: »Ei, Ihr seid wohl weit her gewandert, ehrwürdiger Herr, und recht müde geworden, denn sonst wäret Ihr hier an dem schauerlichen Plätzchen nicht in solch tiefen Schlaf gesunken. Oder Ihr wisset vielleicht gar nicht, was es mit diesem Orte hier für eine Bewandtnis hat?« – Ich versicherte, daß ich als fremder, von Italien hereinwandernder Pilger durchaus nicht von dem, was hier vorgefallen, unterrichtet sei. »Es geht«, sprach der Bauer, »Euch und Euere Ordensbrüder ganz besonders an, und ich muß gestehen, als ich Euch so sanft schlafend fand, setzte ich mich her, um jede etwanige Gefahr von Euch abzuwenden. Vor mehrern Jahren soll hier ein Kapuziner ermordet worden sein. So viel ist gewiß, daß ein Kapuziner zu der Zeit durch unser Dorf kam, und nachdem er übernachtet, dem Gebirge zuwanderte. An demselben Tage ging mein Nachbar den tiefen Talweg unterhalb des Teufelsgrundes hinab und hörte mit einemmal ein fernes durchdringendes Geschrei, welches ganz absonderlich in den Lüften verklang. Er will sogar, was mir aber unmöglich scheint, eine Gestalt von der Bergspitze herab in den Abgrund stürzen gesehen haben. So viel ist gewiß, daß wir alle im Dorfe, ohne zu wissen, warum, glaubten, der Kapuziner könne wohl herabgestürzt sein, und daß mehrere von uns hingingen und, soweit es nur möglich war, ohne das Leben aufs Spiel zu setzen, hinabstiegen, um wenigstens die Leiche des unglücklichen Menschen zu finden. Wir konnten aber nichts entdecken und lachten den Nachbar tüchtig aus, als er einmal, in der mondhellen Nacht auf dem Talwege heimkehrend, ganz voll Todesschrecken einen nackten Menschen aus dem Teufelsgrunde wollte emporsteigen gesehen haben. Das war nun pure Einbildung; aber später erfuhr man denn wohl, daß der Kapuziner, Gott weiß warum, hier von einem vornehmen Mann ermordet und der Leichnam in den Teufelsgrund geschleudert worden sei. Hier auf diesem Fleck muß der Mord geschehen sein, davon bin ich überzeugt, denn seht einmal, ehrwürdiger Herr, hier sitze ich einst und schaue so in Gedanken
Weitere Kostenlose Bücher