Werke
manchmal gerade da, wo man sie am wenigsten sucht. So sah ich vor kurzer Zeit auf einem kleinen Theater einen Schauspieler den Hamlet mit ergreifender Wahrheit darstellen. Die düstre Schwermut, die Verachtung des menschlichen Treibens um ihn her, bei dem steten Gedanken an die entsetzliche Tat, die zu rächen ihn eine grauenvolle Erscheinung aus dem Grabe aufgefordert, der verstellte Wahnsinn – alles trat aus seinem tiefsten Innern in den lebendigsten Zügen heraus. Er war ganz der, »dem das Schicksal eine Last auflegte, die er nicht zu tragen vermag«.
Berganza . Ich errate, daß du von dem Schauspieler sprichst, der von einem Orte zum andern wandernd, vergebens die ideale Bühne sucht, welche nur im mindesten den gerechten Ansprüchen zusagt, welche er an das Theater als gebildeter, denkender Schauspieler macht. – Glaubst du nicht (im Vorbeigehen gesagt), daß sich darin schon die tiefe Erbärmlichkeit unserer gewöhnlichen Schauspieler recht charakteristisch ausspricht, daß man als etwas Besonderes rühmt: es ist ein denkender Schauspieler. – Der also wirklich wie ein Mensch, dem der liebe Gott eine lebendige Seele gegeben, denkt oder wenigstens die Mühe nicht scheut, zu denken, der ist schon etwas Außerordentliches.
Ich . Du hast recht, Berganza! – So ist oft ein gäng und gebe gewordenes Wort der Typus dafür, wie es überhaupt mit der Sache steht.
Berganza . Übrigens gehört der Schauspieler, von dem wir sprechen, wirklich zu den allerseltensten; nur wird er, weil oft Launen ihn beherrschen, von dem Publikum meistenteils verkannt, von seinen Kollegen aber gehaßt, weil er sich nie zu ihren Gemeinheiten, zu ihren pöbelhaften Späßen, zu ihren kleinlichen Klatschereien und was weiß ich mehr, herabläßt; kurz, er ist für unsere jetzigen Bretter zu gut.
Ich . Sollte denn zur Verbesserung unserer Bühne gar keine Hoffnung vorhanden sein?
Berganza . Wenig! – Selbst von den Schauspielern will ich einen Teil der Schuld weg – und ihn dem Heer der überdummen Schauspieldirektoren und Regisseurs zuschieben. Diese gehen von dem Grundsatz aus: » Das Stück ist gut, welches die Kasse füllt und worin die Schauspieler häufig beklatscht werden. Mit diesem oder jenem Schauspiel ist dies am allermehrsten der Fall gewesen, und je mehr sich nun ein neues in der Form, der Anlage und dem Ausdruck demselben nähert, desto besser, je mehr es sich davon entfernt, desto schlechter ist es.« – Neuigkeiten müssen auf die Bühne, und da doch nun die Stimmen der Dichter nicht ganz verklingen, sondern von gar manchem gehört werden, so ist es nicht zu vermeiden, auch manche Produkte, die sich dem Maßstabe der Gemeinheit nicht recht fügen wollen, bei dem Theater anzunehmen. Damit der arme Dichter aber nicht ganz sinke, damit er doch nur einigermaßen die auf den Brettern als unerläßlich angenommenen Bedingungen erfülle, ist der Herr Regisseur so gütig, sich seiner anzunehmen und sein Stück zu streichen . Das heißt: es werden Reden, ja sogar Szenen ausgelassen oder versetzt, so daß alle Einheit des Ganzen, jeder von dem Dichter mit Bedacht und Überlegung vorbereitete Effekt zerstört wird, und der Zuschauer, dem nur die gröbsten Farbenstriche ohne alle Verschmelzung durch die Mitteltinten blieben, nicht mehr erkennen kann, was das Ding eigentlich vorstellen soll. – Der Regisseur ist hoch erfreuet, wenn in seinem Sinn nur die Personen regelrecht kommen und gehen, und ebenso normal das Theater sich verändert.
Ich . Ach, Berganza! Du hast ein wahres Wort gesprochen. – Aber, ist es denn nicht eine furchtbare Eitelkeit, die nur durch die stupideste Stupidität erzeugt werden kann, wenn solch ein Bursche sich über das Werk des Dichters, das dieser solange im Innern trug, wovon er jeden Moment wohl überdachte und überlegte, ehe er das Ganze gerundet aufschrieb, erheben will? Aber gerade in den Werken der größten Dichter entfaltet sich nur dem poetischen Sinn der innere Zusammenhang; der Faden, der sich durch das Ganze schlängelt und jeden kleinsten Teil dem Ganzen fest anreiht, wird nur dem tiefen Blick des echten Kenners sichtbar. Darf ich’s denn wohl noch sagen, daß das bei dem Shakespeare mehr als bei irgendeinem andern Dichter der Fall ist?
Berganza . Ich setze hinzu: und bei meinem Calderon, dessen Schauspiele zu meiner guten Zeit in Spanien das Publikum entzückten.
Ich . Du hast recht, und beide sind auch innig verwandte Geister, die sich oft sogar in ähnlichen Bildern
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