Werke
Loge oder von der Galerie ins Theater schaut, jenem Bestreben entgegensetzt, so scheint auch die Verworfenheit und die Imbezillität unserer Schauspieler und Schauspielerinnen immer mehr zuzunehmen, so daß es bald unmöglich sein wird, ihnen irgendein Meisterwerk in die Hände zu geben, ohne es von ihren groben Fäusten zerrissen und zerfetzt zu sehen.
Ich . Dein Urteil über unsere Bühnenhelden finde ich hart.
Berganza . Aber wahr! – Um das Volk recht von innen kennen zu lernen, muß man so wie ich eine Zeitlang unter ihnen gelebt und oftmals in der Garderobe den stillen Beobachter gemacht haben. – Es ist wohl etwas Herrliches, irgendeinen großen Charakter der alten oder neuern Zeit, den der Dichter mit Kraft und Wahrheit geschildert, und dem er Worte in den Mund gelegt hat, die dem erhabenen Sinne geziemen, nun darstellend so in das Leben zu rufen, daß es dem Zuschauer vergönnt scheint, den Helden in seiner schönsten Zeit handeln zu sehen und die höchste Glorie, zu der er sich aufgeschwungen, anzustaunen oder seinen Untergang zu betrauern. Man sollte glauben, die ganze Phantasie des Schauspielers müßte erfüllt sein von dem darzustellenden Charakter, ja, er müßte selbst der Held geworden sein, der so und nicht anders sprechen und handeln kann, und der bewußtlos Erstaunen, Bewunderung, Entzücken, Furcht und Entsetzen erregt. – Nun höre man aber den Helden hinter den Kulissen, wie er auf die Rolle schimpft, wenn die Hände sich nicht rührten, wie er sich in der Garderobe in gemeinen Späßen erlabt, wenn er endlich »den Drang des Hohen abgeschüttelt« – ja, wie er sich darauf etwas zugute tut, die Rolle, je poetischer sie ist und je weniger sie daher von ihm verstanden wird, desto geringer und verächtlicher zu behandeln, und, als in der Einbildung höher stehend, die sogenannten Kenner zu bespötteln, denen solch unverständiges tolles Zeug eine kindische Freude machen kann. – Mit den Damen hat es ganz die gleiche Bewandtnis, nur ist es noch schwieriger, sie zu irgendeiner exotischen Rolle zu bewegen, da sie einen nach ihrem Geschmack vorteilhaften Anzug und wenigstens einen, nach ihrem Ausdruck, brillanten Abgang als unerläßliche Bedingnisse voraussetzen.
Ich . Berganza, Berganza, schon wieder einen Ausfall auf die Weiber!
Berganza . Der aber nur zu gerecht ist! Einer von euern neuesten Bühnendichtern, der wahrhaft poetische Werke geliefert, welche vielleicht bloß deshalb nicht mehr Glück auf der Bühne machten, weil die elenden Bretter zu schwach waren, das Kolossale zu tragen, indem ein gigantischer geharnischter Held der Vorzeit ganz anders auftritt als ein Hofrat im gestickten Staatskleide, – dieser Dichter nun war, wenn eins seiner Stücke zur Aufführung kam, vielleicht zu ängstlich besorgt, daß im Äußern, was Dekorationen und Kostüme betraf, alles ganz nach seiner Idee ausgeführt werde. Als nun eine weltberühmte und als poetisch höchst gebildet ausgeschriene Schauspielerin bei einem großen Theater in seinem neuesten Stücke eine tief in das Ganze eingreifende Rolle übernommen hatte, ging er zu ihr hin und bemühete sich recht weitläufig und deutlich ihr darzulegen, wie sie in ein langes, ägyptisches, erdfarbenes, faltenreiches Gewand gekleidet sein müsse, da er sich eben von der fremdartigen Kleidung recht viel verspreche. Nachdem er beinahe zwei Stunden hindurch ganz herrlich und tief von den bedeutungsvollen ägyptischen Gewändern und vorzüglich von dem in Rede stehenden gesprochen, ja sich selbst in einen zufällig daliegenden Shawl auf verschiedene Weise ägyptisch drapiert, und sie ihm ganz geduldig zugehört hatte, erhielt er den kurzen Bescheid: »Ich will’s versuchen, steht es mir, so ist’s gut, steht’s mir nicht, so lass’ ich’s bleiben und kleide mich nach meinem Geschmack.« –
Ich . Du kennst allerdings die Schwächen unserer Bühnenhelden und – Königinnen, lieber Berganza, und ich behaupte auch mit dir, daß kein Schauspieler in der Welt imstande sein wird, den Mangel eines innigen, tiefen Gefühls, mit dem er den poetischen Charakter seiner Rolle ganz in sich aufnimmt, ja gleichsam zu seinem eignen Ich macht, durch äußere Vorteile zu ersetzen. Er kann augenblicklich den Zuschauer übertäuben, aber immer wird dem Spiel die Wahrheit fehlen, und er jeden Augenblick Gefahr laufen, auf dem Falschen ertappt und des falschen Schmucks beraubt zu werden. – Doch gibt es Ausnahmen. –
Berganza . Höchst selten!
Ich . Und doch! –
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