Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
bemerkt. Er war so verstört, dass er trotz allem, was ihn umgab, ganz erfüllt von dem Gedanken an die schreckliche Katastrophe, von der er soeben betroffen war, mehrere Male plötzlich regungslos wie ein Pfahl mitten auf dem Trottoir stehen blieb; in solchen Augenblicken war er dem Tode, dem Verscheiden nahe; dann riss er sich auf einmal wie ein Wahnsinniger von dem Platze los und lief ohne sich umzusehen davon, wie wenn er sich vor irgendwelchen Verfolgern, vor irgendwelchem noch furchtbareren Unglück retten wollte ... Wirklich, seine Lage war schrecklich!... Endlich als seine Kräfte völlig erschöpft waren, blieb Herr Goljadkin stehen, stützte sich auf das Geländer am Ufer in der Haltung jemandes, der plötzlich ganz unerwartet von Nasenbluten befallen ist, und begann starr in das trübe, schwarze Wasser der Fontanka hinabzublicken. Es ist unbekannt, wieviel Zeit er mit dieser Beschäftigung verbrachte. Bekannt ist nur, dass Herr Goljadkin in diesem Augenblicke so verzweifelt, so abgequält, abgemartert und abgemattet war und dermaßen die an sich schon schwachen Überreste von Lebensmut verloren hatte, dass er alles vergaß: die Ismailowski-Brücke und die Schestilawotschnaja-Straße und seine jetzige Lage... In der Tat was konnte ihm noch weiter begegnen? Es war ihm ja jetzt alles gleich: die Sache war geschehen, sein Entschluß unerschütterlich gefaßt; was konnte ihm noch widerfahren? ... Plötzlich ... plötzlich zuckte er mit dem ganzen Körper zusammen und sprang unwillkürlich ein paar Schritte zur Seite. Mit einer unerklärlichen Unruhe begann er um sich zu blicken; aber es war niemand da, es hatte sich nichts Besonderes ereignet, und doch... und doch war es ihm so gewesen, als hätte jemand soeben, in diesem Augenblicke bei ihm gestanden, dicht neben ihm, ebenfalls auf das Ufergeländer gelehnt, und hätte (wunderbar!) sogar etwas zu ihm gesagt, schnell, abgebrochen und nicht ganz verständlich, aber über einen ihn angehenden, ihn sehr nahe angehenden Gegenstand. »Ach was, es wird mir nur so vorgekommen sein, nicht wahr?« sagte Herr Goljadkin, indem er sich noch einmal rings umschaute. »Aber wo stehe ich denn hier? ... Ach ja, ach ja!« schloss er, den Kopf hin und her wiegend, begann aber mit einem unruhigen, traurigen Gefühle, ja mit Angst in die trübe, feuchte Ferne zu blicken, wobei er seine Augen aufs äußerste anstrengte und sich unter Aufbietung aller Kraft bemühte, mit seinem kurzsichtigen Blicke den nassen Dunst, der sich vor ihm ausbreitete, zu durchdringen. Indessen fiel Herrn Goljadkin nichts Neues und nichts Besonderes in die Augen. Alles schien in gehöriger Ordnung zu sein, d.h. der Schnee fiel noch stärker, noch dichter und in noch größeren Flocken; in einer Entfernung von zwanzig Schritten war nicht das geringste zu sehen; die Laternen klirrten noch schärfer als vorher, und der Wind schien sein trauriges Lied in noch weinerlicherem, kläglicherem Tone zu singen, wie ein zudringlicher Bettler, der um ein Kupferstückchen bittet, um sich zu ernähren. »Ach ja, ach ja! Aber was ist denn mit mir?« wiederholte Herr Goljadkin noch einmal, machte sich von neuem auf den Weg und warf fortwährend flüchtige Blicke rings um sich. Aber unterdessen machte sich in Herrn Goljadkins ganzem Wesen eine neue Empfindung geltend, ein Mittelding zwischen Kummer und Angst... Ein fieberhaftes Zittern lief durch seine Glieder. Es war ein unerträglich peinvoller Augenblick! »Nun, es ist ja nichts Schlimmes,« sagte er, um sich Mut zu machen; »nun, es ist ja nichts Schlimmes; vielleicht ist die Sache überhaupt nicht schlimm, und niemandes Ehre ist befleckt. Vielleicht mußte es so kommen,« fuhr er fort, ohne selbst zu verstehen, was er sagte; »vielleicht wird das alles sich seinerzeit gut gestalten, und es werden gegen niemand Vorwürfe erhoben werden, und alle werden gerechtfertigt dastehen.« Während er so sprach und sich mit Worten das Herz leichter machte, rüttelte Herr Goljadkin sich ein wenig und schüttelte sich die Schneeflocken ab, die ihm in dichter Schicht den Hut, den Kragen, den Mantel, das Halstuch, die Stiefel und alles bedeckten; aber das sonderbare Gefühl, seine seltsame, unklare Schwermut konnte er immer noch nicht loswerden, nicht von sich abschütteln. Irgendwo in der Ferne ertönte ein Kanonenschuß. »Das ist mal ein Wetter!« dachte unser Held. »Horch! Es wird doch keine Überschwemmung geben? Offenbar ist das Wasser sehr stark gestiegen.« Kaum hatte Herr
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