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Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Dostojewski
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sich: »Das geht nun alles in einem hin; dafür werde ich meinen Zweck erreicht haben.« Und wirklich näherte sich Herr Goljadkin schon seinem Ziele. Die dunkle Masse des riesigen staatlichen Gebäudes hob sich schon in der Ferne vor ihm ab. »Halt!« dachte er, »wohin gehe ich denn, und was will ich hier tun? Allerdings werde ich in Erfahrung bringen, wo er wohnt; aber unterdessen ist Petruschka gewiß schon zurückgekommen und hat mir eine Antwort gebracht. Ich verliere nur unnütz meine kostbare Zeit; ich habe so schon viel Zeit verloren. Na, es tut nichts; das läßt sich alles noch wieder gutmachen. Aber soll ich wirklich nicht zu Wachramejew herangehen? Na, ich will es nicht tun. Ich kann es ja auch später noch tun ... Ach! Ich hätte überhaupt nicht auszugehen brauchen. Aber das liegt nun einmal in meinem Charakter! Das ist so ein Drang bei mir: ob es nun nötig ist oder nicht, immer strebe ich danach, schnell vorzugehen ... Hm!... Was mag die Uhr sein? Es ist gewiß schon neun. Petruschka kommt vielleicht zurück und findet mich dann nicht zu Hause. Ich habe eine arge Dummheit damit begangen, daß ich ausgegangen bin... Ach wahrhaftig, das ist eine schwere Aufgabe!«
    Nachdem er sich auf diese Art aufrichtig gestanden hatte, daß er eine arge Dummheit begangen habe, lief unser Held wieder zurück nach seiner Wohnung in der Schestilawotschnaja-Straße. Er langte dort müde und matt an. Schon von dem Hausknechte erfuhr er, daß von Petruschka noch nichts zu sehen gewesen sei. »Na ja! Das habe ich mir doch gedacht!« sagte sich unser Held; »und dabei ist es schon neun Uhr. Nein, was ist er für ein Taugenichts! Immer muß er sich irgendwo betrinken! Herr du mein Gott! Ist das ein Unglückstag für mich!« Unter solchen Gedanken und Wehklagen schloß Herr Goljadkin seine Wohnung auf, machte Licht, zog sich ganz aus, zündete sich eine Pfeife an, legte sich erschöpft, müde, wie zerschlagen und hungrig auf das Sofa und wartete auf Petruschka. Die Kerze brannte trübe; der Lichtschein zitterte an den Wänden ... Herr Goljadkin schaute und schaute, dachte und dachte und versank endlich in einen totenähnlichen Schlaf.
    Als er erwachte, war es schon spät. Die Kerze war fast ganz heruntergebrannt, qualmte und war nahe daran, zu erlöschen. Herr Goljadkin sprang auf, schüttelte sich und erinnerte sich an alles, was vorgegangen war, schlechthin an alles. Hinter der Scheidewand war Petruschkas kräftiges Schnarchen zu vernehmen. Herr Goljadkin stürzte zum Fenster: nirgend war Licht zu sehen. Er öffnete die Luftklappe: es war still; die Stadt war wie ausgestorben; sie schlief. Also mußte es etwa zwei oder drei Uhr sein; und so war es auch: die Uhr hinter der Scheidewand holte mit Anstrengung aus und schlug zwei. Herr Goljadkin lief hinter die Scheidewand.
    Nach langen Bemühungen gelang es ihm durch Püffe und Stöße, Petruschka einigermaßen munter zu bekommen und ihn dahin zu bringen, daß er sich im Bette aufrichtete. In diesem Augenblicke erlosch die Kerze vollständig. Es dauerte etwa zehn Minuten, bis Herr Goljadkin eine andere Kerze gefunden und angezündet hatte. Unterdessen hatte es Petruschka fertig gebracht, von neuem einzuschlafen. »So ein Schurke, so ein Taugenichts!« rief Herr Goljadkin, während er ihm von neuem Püffe versetzte. »Wirst du wohl aufstehen? Wirst du wohl aufwachen?« Nach einer halbstündigen Anstrengung glückte es Herrn Goljadkin aber doch, seinen Diener vollständig in Bewegung zu bringen und ihn hinter seiner Scheidewand hervorzuziehen. Erst hier erkannte unser Held, daß Petruschka, was man nennt, sternhagelvoll war und sich kaum auf den Beinen hielt.
    »Du Faulpelz!« schrie Herr Goljadkin; »du Nichtswürdiger! Du hast mir ja den schwersten Schaden zugefügt! Herr Gott, wo hast du nur den Brief gelassen? Ach, du mein Schöpfer, wie soll der Brief nun ... Und warum habe ich ihn überhaupt geschrieben? Brauchte ich ihn denn zu schreiben? Ich habe mich von meinem übermäßigen Ehrgefühl hinreißen lassen, ich Dummkopf! Dahin hat mich meine Empfindlichkeit gebracht! Das hast du nun von deinem Ehrgefühl, du Schuft; das hast du von deinem Ehrgefühl!... Na, du da! Wo hast du den Brief gelassen, du Halunke? An wen hast du ihn abgegeben?...«
    »An niemanden habe ich einen Brief abgegeben; ich habe überhaupt keinen Brief gehabt ... so ist die Sache!«
    Herr Goljadkin rang vor Verzweiflung die Hände.
    »Hör mal, Petruschka; hör mal zu; hör mal, was ich dir sagen will

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