Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
zur Vorbereitung die Pfeife zur Hand, sondern setzte sich sofort aufs Sofa, zog sich das Tintenfaß heran, ergriff eine Feder, suchte sich einen Bogen Briefpapier heraus und machte sich daran, mit einer Hand, die vor innerer Aufregung zitterte, das nachstehende Schreiben aufs Papier zu werfen:
»Mein geehrter Herr,
Jakow Petrowitsch!
»Ich würde nicht die Feder ergreifen, wenn mich nicht meine Lage und Sie selbst, mein Herr, dazu zwängen. Glauben Sie mir, daß nur die Notwendigkeit mich dazu gebracht hat, mit Ihnen in derartige Erörterungen einzutreten, und daher bitte ich Sie vor allen Dingen, dieses mein Verfahren nicht als wohlüberlegte Absicht, Sie, mein Herr, zu beleidigen, sondern vielmehr als die notwendige Folge der jetzt zwischen uns bestehenden Beziehungen aufzufassen.«
»Es scheint, so ist es gut, anständig und höflich, wiewohl nicht ohne Kraft und Festigkeit? ... Ich möchte meinen, er hat keinen Anlaß, sich dadurch beleidigt zu fühlen. Zudem bin ich in meinem Rechte,« dachte Herr Goljadkin, indem er das Geschriebene durchlas.
»Ihr unerwartetes, seltsames Erscheinen, mein Herr, in jener stürmischen Nacht, nachdem meine Feinde, deren Namen ich aus Verachtung gegen sie verschweige, sich so roh und unanständig gegen mich benommen hatten, war der Keim aller der Mißverständnisse, die gegenwärtig zwischen uns bestehen. Ihr hartnäckiges Verlangen, mein Herr, Ihren Willen durchzusetzen und gewaltsam in den Kreis meines Daseins und aller meiner Lebensverhältnisse einzudringen, überschreitet alle Grenzen, die schon durch die Höflichkeit und die einfachste gesellschaftliche Rücksichtnahme gezogen sind. Ich glaube, ich brauche hier nicht daran zu erinnern, mein Herr, wie Sie mir mein Aktenstück und meinen eigenen ehrlichen Namen entwendet haben, um von der vorgesetzten Behörde ein Lob einzuernten, das Sie nicht verdienten. Ich brauche hier auch nicht daran zu erinnern, daß Sie absichtlich in beleidigender Form es ablehnten, sich auf die bei diesem Falle nötig gewordenen Auseinandersetzungen einzulassen. Um schließlich alles zu sagen, erwähne ich auch Ihr letztes seltsames, ja, man kann sagen, unbegreifliches Verhalten mir gegenüber im Kaffeehause nicht. Weit entfernt, mich darüber zu beklagen, daß ich einen Rubel unnütz ausgegeben habe, kann ich doch nicht umhin, meine ganze Entrüstung zum Ausdruck zu bringen bei der Erinnerung an Ihr offenkundiges Attentat auf meine Ehre, mein Herr, und noch dazu in Gegenwart mehrerer Personen, die mir zwar unbekannt sind, aber viel gute Lebensart besitzen ...«
»Gehe ich auch nicht zu weit?« überlegte Herr Goljadkin. »Wird das auch nicht zu stark sein? Ist das auch nicht zu beleidigend, diese Hindeutung auf die gute Lebensart zum Beispiel? ... Na, es schadet nichts! Man muß ihm Charakterfestigkeit zeigen. Übrigens kann man ihm zur Besänftigung ein bißchen schmeicheln und ihm zum Schluß etwas Honig um den Mund streichen. Nun, wir wollen sehen!«
»Aber ich würde Sie, mein Herr, mit meinem Briefe nicht belästigen, wenn ich nicht fest überzeugt wäre, daß der Edelmut Ihrer Herzensempfindungen und Ihr offener, gerader Charakter Ihnen selbst die Mittel zeigen werden, alle begangenen Versehen wieder gutzumachen und alles in den früheren Stand zurückzuversetzen.
»Ich bin der festen Hoffnung und Überzeugung, daß Sie meinem Briefe nicht eine für Sie beleidigende Deutung geben werden, und gleichzeitig, daß Sie sich nicht weigern werden, über diesen Fall eine eingehende briefliche Erklärung abzugeben. Mein Diener hat Auftrag, diese zurückzubringen.
»In dieser Erwartung, mein Herr, habe ich die Ehre, zu sein
Ihr ergebenster Diener
J. Goljadkin.«
»Na, so ist alles schön! Die Sache ist besorgt; es ist also schon zu brieflichen Auseinandersetzungen gekommen. Aber wer ist daran schuld? Er ist selbst daran schuld; er selbst versetzt einen Mitmenschen in die Notwendigkeit, briefliche Erklärungen zu verlangen. Und ich bin in meinem Rechte ...«
Nachdem Herr Goljadkin den Brief zum letzten Male durchgelesen hatte, faltete er ihn zusammen, siegelte ihn zu und rief Petruschka. Petruschka erschien, nach seiner Gewohnheit mit verschlafenen Augen und sehr ärgerlicher Miene.
»Nimm diesen Brief hier, mein Lieber ... verstehst du?«
Petruschka schwieg.
»Nimm ihn und trage ihn nach der Kanzlei; da suche den dejourierenden Beamten, den Gouvernementssekretär Wachramejew. Wachramejew hat heute Dejour. Verstehst du
Weitere Kostenlose Bücher