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Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Dostojewski
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Mensch gewußt, ob ein Raub stattgefunden hatte. Ich frage Sie, meine Herren Geschworenen, wäre Smerdjakow wohl so verfahren? Hätte er das Kuvert auf dem Fußboden liegenlassen? Nein, so mußte ein Mörder verfahren, der außer sich war und nicht richtig zu überlegen vermochte, ein Mörder, der kein Dieb war und bisher noch nie etwas gestohlen hatte und auch jetzt nicht wie ein Dieb das Geld unter dem Kopfkissen hervorholte, sondern so, als nähme er sein Eigentum dem Dieb, der es ihm gestohlen hat, wieder weg. Gerade das war ja Dmitri Karamasows Auffassung von diesen dreitausend Rubeln, eine Auffassung, die bei ihm zur Manie geworden war. Und nachdem er sich des Kuverts bemächtigt hat, das er vorher nie gesehen hatte, reißt er es auf, um sich zu überzeugen, ob auch das Geld darin ist; dann läuft er mit dem Geld in der Tasche davon, ohne auch nur daran zu denken, daß er mit dem zerrissenen Kuvert ein außerordentlich starkes Beweisstück gegen sich auf dem Fußboden zurückläßt. Alles deswegen, weil es eben Karamasow war und nicht Smerdjakow, weil er nicht überlegte – und wie hätte er das auch gekonnt! Er läuft davon, er hört das Geschrei des Dieners, der Diener faßt ihn, hält ihn fest und stürzt, von dem Stößel getroffen, zu Boden. Der Angeklagte springt aus Mitleid zu ihm hinunter. Stellen Sie sich das vor: Er versichert uns auf einmal, er sei damals aus Bedauern, aus Mitleid hinuntergesprungen, um zu sehen, ob er ihm nicht irgendwie helfen konnte. Nun, war dieser Augenblick etwa dazu angetan, ein derartiges Mitleid zum Ausdruck zu bringen? Nein, er sprang vielmehr hinunter, um sich zu überzeugen, ob der einzige Zeuge seiner Untat noch am Leben war. Jedes andere Gefühl, jedes andere Motiv wäre unnatürlich gewesen! Beachten Sie auch dies: Er müht sich um Grigori ab, wischt ihm mit dem Taschentuch das Blut vom Kopf, und als er sicher zu sein glaubt, daß der andere tot ist, läuft er wie ein Unsinniger ganz blutbeschmiert wieder in das Haus seiner Geliebten – wie konnte er nicht daran denken, daß er ganz voll Blut war und ihn das sofort verraten mußte? Doch der Angeklagte versichert uns selbst, er habe gar nicht darauf geachtet, daß er voll Blut war. Das kann man ihm glauben, das ist sehr wohl möglich, das ist in solchen Momenten bei Verbrechern oft der Fall. Einerseits sind sie fähig zu einer teuflisch schlauen Berechnung, andererseits jedoch reicht ihre Denkkraft nicht aus. Aber er dachte in diesem Augenblick nur daran, wo sie war. Er wollte so schnell wie möglich erfahren, wo sie war, und so eilte er in ihre Wohnung und hörte die unerwartete, schreckliche Nachricht, daß sie mit ihrem ›Früheren‹ nach Mokroje gefahren sei.«
    9. Psychologie auf Hochtouren. Die dahinjagende Troika. Schluß der Rede des Staatsanwalts
     
    Als Ippolit Kirillowitsch bis zu diesem Punkt seiner Rede gelangt war (er hatte offenbar eine streng historische Methode der Darstellung gewählt, eine Methode, zu welcher alle nervösen Redner mit besonderer Vorliebe Zuflucht nehmen, indem sie absichtlich einen strengen Rahmen suchen, um ihren eigenen ungeduldigen Eifer zu hemmen), da verbreitete er sich besonders über den ›Früheren‹ und trug zu diesem Thema einige in ihrer Art interessante Gedanken vor. Karamasow, bisher auf alle eifersüchtig bis zur Raserei, falle auf einmal gleichsam zusammen und verschwinde vor dem ›Früheren‹. Und dies sei um so seltsamer, da er früher diese neue Gefahr in der Person des unerwarteten Nebenbuhlers fast gar nicht beachtet habe. Aber er habe wohl immer die Vorstellung gehabt, das sei noch in weiter Ferne; ein Karamasow lebe jedoch immer nur im gegenwärtigen Augenblick. Wahrscheinlich habe er den anderen sogar für eine Fiktion gehalten. Doch nachdem er dann urplötzlich begriffen habe, daß diese Frau ihm den neuen Nebenbuhler vielleicht gerade darum verheimlichte, weil er für sie ganz und gar keine Phantasie und Fiktion, sondern ihre ganze Lebenshoffnung bildete – nachdem er das begriffen habe, habe er sich dreingefunden. »Nun, meine Herren Geschworenen, ich kann diesen in der Seele des Angeklagten plötzlich hervorgetretenen Zug nicht mit Stillschweigen übergehen. Es könnte scheinen, der Angeklagte sei zu einem solchen Verhalten schlechterdings nicht fähig gewesen; aber es zeigte sich bei ihm auf einmal ein unwiderstehliches Bedürfnis nach Gerechtigkeit, ein Drang, dieses weibliche Wesen zu achten, die Rechte ihres Herzens zu respektieren, und zwar

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