Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
gerade in dem Augenblick, als er sich um ihretwillen die Hände mit dem Blut seines Vaters befleckt hatte! Allerdings schrie auch das vergossene Blut schon zu diesem Zeitpunkt nach Rache; denn nachdem er seine Seele und sein ganzes irdisches Schicksal zerstört hatte, mußte er das in jenem Augenblick unwillkürlich fühlen und sich fragen, was er jetzt noch für sie bedeuten konnte, für dieses Wesen, das er mehr als seine Seele liebte – er neben diesem ›Früheren‹, der reuig zu der einst von ihm zugrunde gerichteten Frau mit neuer Liebe, mit ehrenhaften Anträgen und mit dem Gelöbnis eines neuen, glücklichen Lebens zurückkehrte. Was konnte er, der Unglückliche, ihr jetzt geben, was konnte er ihr bieten? Karamasow begriff das alles; er begriff, daß ihm sein Verbrechen alle Wege verschloß, daß er nur ein zum Tod verurteilter Verbrecher war – kein Mensch, dem weiterzuleben vergönnt war! Dieser Gedanke drückte ihn nieder und vernichtete ihn. Und so faßte er augenblicklich einen verzweifelten Plan, der ihm bei seinem Charakter als der einzige, vom Schicksal gewiesene Ausweg aus seiner furchtbaren Lage erscheinen mußte. Dieser Ausweg war der Selbstmord. Er läuft seine Pistole holen, die er bei dem Beamten Perchotin versetzt hat; er nimmt unterwegs im Laufen aus der Tasche das Geld, um dessentwillen er soeben seine Hände mit dem Blut seines Vaters befleckt hat. Oh, Geld braucht er jetzt ganz besonders nötig: Karamasow wird sterben, Karamasow wird sich erschießen – doch an die Art, wie er das getan hat, wird man lange denken! Nicht umsonst sind wir ein Dichter, nicht umsonst haben wir unser Leben aufgebraucht wie eine an beiden Enden angezündete Kerze. ›Zu ihr, zu ihr! Dort werde ich ein Gelage für die ganze Welt veranstalten, ein Gelage, wie es noch nicht dagewesen ist, damit die Menschen sich lange daran erinnern und davon erzählen. Inmitten des Geschreis, der wilden Lieder und Tänze der Zigeuner werde ich den Becher erheben, der vergötterten Frau zu ihrem neuen Glück gratulieren und mir dann gleich dort zu ihren Füßen und vor ihren Augen den Schädel zerschmettern!‹ Sie wird sich später manchmal an Mitja Karamasow erinnern, wird verstehen, wie heiß Mitja sie geliebt hat, und sie wird Mitja bedauern! Ja, hier ist viel Hang zur großartigen Pose mit im Spiel, viel romantische Schwärmerei, viel echt Karamasowsche Zügellosigkeit und Sentimentalität – nun, und noch etwas anderes, meine Herren Geschworenen, etwas, das da unermüdlich in der Seele schreit, im Verstand pocht und das Herz vergiftet. Dieses Etwas ist das Gewissen, meine Herren Geschworenen, das Gewissen, das ihn unerbittlich richtet und entsetzlich quält. Aber die Pistole wird alles zur Ruhe bringen, die Pistole ist die einzige Rettung, eine andere gibt es nicht. Dort im Jenseits jedoch ... Ich weiß nicht, ob Karamasow in jenem Augenblick daran gedacht hat, was im Jenseits sein wird, ob Karamasow überhaupt imstande ist, daran zu denken, wie es Hamlet tut. Nein, meine Herren Geschworenen, woanders gibt es Hamlets, doch bei uns vorläufig nur Karamasows!«
Nun entrollte Ippolit Kirillowitsch ein Bild von Mitjas Vorbereitungen mit allen Einzelheiten: die Szenen bei Perchotin, im Laden, mit dem Kutscher. Er führte eine Menge von Worten, Aussprüchen und Gesten an, die sämtlich durch Zeugen bestätigt waren – und das Bild übte eine gewaltige Wirkung auf die Zuhörer aus. Vor allem beeindruckte dabei das Zusammentreffen der Tatsachen. Die Schuld dieses bis zum Wahnsinn erregten und sich nicht mehr beherrschenden Menschen trat unwiderleglich zutage.
»Es lag ihm nichts mehr daran, sich in acht zu nehmen«, sagte Ippolit Kirillowitsch. »Zwei- oder dreimal war er schon nahe daran, ein volles Geständnis abzulegen; er machte Andeutungen und sprach nur nicht ganz zu Ende ...« Hier folgten die Aussagen von Zeugen. »Selbst dem Kutscher rief er unterwegs zu: ›Weißt du, daß du einen Mörder fährst?‹ Aber zu Ende zu sprechen war ihm doch nicht möglich: Er mußte erst noch in das Dorf Mokroje gelangen und dort eine poetische Szene veranstalten. Doch was erwartete ihn dort? Die Sache war nämlich die, daß er in Mokroje gleich von Anfang an begriff, daß sein ›privilegierter‹ Nebenbuhler offenbar überhaupt nicht mehr so privilegiert war und daß seine Geliebte von ihm gar keine Gratulation zu dem neuen Glück wünschte. Aber Sie kennen die Tatsachen schon aus der gerichtlichen Untersuchung, meine Herren
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