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Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Dostojewski
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eines unbeteiligten Zuschauers. Er beobachtete jetzt nur, meine Herrschaften; er hätte ja ebenfalls hineingehen können, meine Herrschaften ... warum hätte er denn nicht hineingehen sollen? Er brauchte nur ein paar Schritte zu tun, dann ging er hinein und ging mit großer Gewandtheit hinein. Eben erst (nachdem er übrigens schon über zwei Stunden in der Kälte zwischen dem Schranke und dem Wandschirm, zwischen allerlei Gerümpel, Trödelkram und altem Hausrat gestanden hatte) hatte er im stillen zu seiner eigenen Rechtfertigung einen Ausspruch des französischen Ministers Villèle seligen Angedenkens zitiert: »Alles kommt zu seiner Zeit, wenn man nur zu warten versteht.« Diesen Ausspruch hatte Herr Goljadkin einmal in einem übrigens ganz gleichgültigen Buche gelesen; aber jetzt rief er ihn sich zu sehr passender Zeit ins Gedächtnis zurück. Dieser Ausspruch paßte erstens sehr gut zu seiner augenblicklichen Lage, und zweitens, was kommt nicht alles einem Menschen in den Kopf, der auf eine glückliche Lösung der ihn beschäftigenden Schwierigkeiten fast schon drei geschlagene Stunden auf dem Flur in der Dunkelheit und Kälte wartet? Nachdem Herr Goljadkin den Ausspruch des früheren französischen Ministers Villèle, wie schon oben gesagt, zu sehr passender Zeit im stillen zitiert hatte, erinnerte er sich ebendaselbst aus unbekanntem Grunde auch an den ehemaligen türkischen Vezier Marzimiris, sowie auch an die schöne Markgräfin Luise, deren Geschichte er gleichfalls einmal in einem Buche gelesen hatte. Dann kam ihm ins Gedächtnis, daß die Jesuiten sogar den Grundsatz aufgestellt hätten, man müsse alle Mittel für zulässig erachten, wenn nur der Zweck dadurch erreicht werde. Nachdem Herr Goljadkin aus dieser historischen Erinnerung etwas Mut geschöpft hatte, sagte er zu sich selbst, was seien denn die Jesuiten für Leute? Die Jesuiten seien alle ohne Ausnahme die größten Dummköpfe; er selbst stecke sie allesamt in den Sack; wenn das Büfettzimmer auch nur für einen Augenblick leer werde (dasjenige Zimmer, dessen Tür direkt auf den Flur, nach der Hintertreppe hinausführte, wo Herr Goljadkin sich jetzt befand), dann werde er, unbekümmert um alle Jesuiten, ohne weiteres geradezu hindurchgehen, zuerst aus dem Büfettzimmer in das Teezimmer, dann in dasjenige Zimmer, wo jetzt Karte gespielt werde, und dann geradezu in den Saal, wo jetzt Polka getanzt werde. Und er werde hindurchgehen, unbedingt hindurchgehen; allem zum Trotz werde er hindurchgehen, hindurchschlüpfen, und damit basta, und niemand werde es bemerken, und dann werde er schon selbst wissen, was er weiter zu tun habe. In dieser Lage, meine Herrschaften, finden wir also jetzt den Helden unserer durchaus wahrhaften Geschichte, wiewohl es schwer ist zu erklären, was mit ihm eigentlich im gegenwärtigen Augenblicke vorging. Die Sache war die, daß er verstanden hatte bis zur Treppe und bis zum Flur zu gelangen; denn er hatte sich gesagt, warum sollte er nicht dahin gelangen, wohin alle gelangen könnten; aber weiter vorzudringen wagte er nicht; das zu tun wagte er offenbar nicht ... nicht weil er irgend etwas nicht gewagt hätte, sondern einfach, weil er es selbst nicht wollte, weil er mehr Lust hatte im verborgenen zu bleiben. So, meine Herrschaften, wartete er also jetzt im verborgenen und wartete schon genau zwei und eine halbe Stunde. Warum sollte er auch nicht warten? Hatte doch auch Villèle selbst gewartet. »Aber was soll hier Villèle?« dachte Herr Goljadkin; »was kümmert mich hier Villèle? Wie wär's, wenn ich jetzt ... hm ... so ohne weiteres eindränge? ... Ach, was bist du für ein elender Statist!« sagte Herr Goljadkin zu sich selbst und kniff sich mit der erstarrten Hand in die erstarrte Backe; »was bist du für ein Dummkopf, was bist du für ein armer Schlucker; das besagt ja schon dein Name!...« Übrigens belegte er seine eigene Person mit diesen Kosenamen im gegenwärtigen Augenblicke nur so beiläufig, ohne jeden besonderen Zweck. Aber jetzt, jetzt schickte er sich an, es zu unternehmen und vorzudringen; der günstige Augenblick war gekommen; das Büfettzimmer war leer geworden und niemand darin; Herr Goljadkin sah dies alles durch ein Fensterchen; mit zwei Schritten befand er sich an der Tür und war bereits im Begriffe, sie zu öffnen. »Soll ich hingehen oder nicht? Na, soll ich hingehen oder nicht? Ich will hingehen ... warum sollte ich nicht hingehen? Dem Mutigen gehört die Welt!« Nachdem unser Held sich in

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