Werke
wo ein paar Elstern aus ihrem Neste schrien, kam ein altes Weib um die Ecke, die von dem herabgefallenen Astholz in ihre Schürze sammelte. Als ich ihr unter den groben Strohhut guckte, erkannte ich das braune scharfe Gesicht der allbekannten »Mutter Pottsacksch«, welche je nach der Jahreszeit mit Maililien und Waldmeisterkränzen oder Nüssen und Moosbeeren in der Stadt hausieren ging.
»Mutter Pottsacksch!« rief ich, »wohnt Sie hier in dem großen Hause?«
»Je, junge Herr«, erwiderte in ihrem Platt die Alte; »ick hol de Kram hier man wat uprecht!«
Und auf weitere Fragen erfuhr ich, daß einst ein großes Bauerngut bei diesem Hause gewesen, daß aber schon vor hundert Jahren das Land davongekommen sei und in nächster Zeit auch der Hof – denn so werde das Haus noch jetzt genannt – auf Abbruch verkauft und die Bäume niedergeschlagen werden sollten.
Mich dauerten die armen Elstern, die droben so mühsam sich ihr Nest gebaut hatten; dann aber fragte ich: »Und vor hundert Jahren, wer hat denn damals hier gewohnt?«
»Dotomal?« rief die Alte und stemmte die freie Hand in ihre Seite. »Dotomal hätt de Hex hier wahnt!«
»De Hex?« wiederholte ich. »Hat’s denn Hexen hier bei Euch gegeben?«
Die Alte winkte mit der Hand. »Oha! Lat de Herr dat man betämen!« Womit sie sagen wollte, ich solle das nur sachte angehen lassen, es sei damit auch heut noch nicht geheuer.
Als ich frug, ob jene Hexe denn verbrannt sei, schüttelte sie heftig ihren alten Kopf. »Oha, Oha!« rief sie wieder und gab dann zu verstehen, der Amtmann und der Landvogt hätten nur nicht heran wollen; denn – na, ich verstünde wohl – –; und nun machte sie unter bedeutsamem Kopfnicken die Gebärde des Geldzählens. Die Zerstückelung des Gutes sei nämlich erst nach dem Tode der Hexe vor sich gegangen, sie selber habe noch ihre Wirtschaft streng betrieben und sei eine gewaltige Bäuerin gewesen.
Was diese Hexe denn aber eigentlich gehext habe, davon schien Mutter Pottsacksch nichts zu wissen. »Düwelswark, Herr!« sagte sie. »Wat so ’n Slag bedrivt!« Soviel jedoch sei sicher: Sonntags, wenn andre Christenmenschen in der Kirche gesessen hätten, um Gottes Wort zu hören, dann habe sie sich auf ein Pferd gesetzt und sei nach Norden zu in Heide und Moor hinausgeritten; was sie dort betrieben habe, davon sei wohl übel Nachricht einzuholen. Plötzlich aber habe dieses aufgehört, und seitdem habe sie sonntags ihr großes düsteres Zimmer nicht mehr verlassen; noch Mutter Pottsackschs Urgroßmutter habe das blasse Gesicht mit den großen brennenden Augen hinter den kleinen Fensterscheiben sitzen sehen.
Mehr vermochte ich von der Alten nicht herauszubringen.
»Und war das Pferd, worauf sie ritt, denn schwarz?« fragte ich endlich, um mein schnell geschaffenes Phantasiebild doch in etwas zu vervollständigen.
»Swart?« schrie Mutter Pottsacksch, wie entrüstet über eine so überflüssige Frage. »Gnidderswart! Dat mag de Herr wull löwen (glauben)!«
Noch lange mußte ich an die Schwabstedter Hexe denken; auch tat ich nach verschiedenen Seiten hin noch manche Fragen nach ihrem näheren Geschick; allein was Mutter Pottsacksch nicht erzählt hatte, das konnten auch andere nicht erzählen. Mir ahnte freilich nicht, daß ich die Antwort in nächster Nähe, daß ich sie auf dem Boden meines elterlichen Hauses hätte suchen sollen.
Viele Jahre nachher, da ich diese Dinge längst vergessen hatte, saß ich vor einer dort beiseite gestellten Schatulle aus meines Großvaters Hausrat und kramte in ihren Schubfächern nach dessen Bräutigamsbriefen an meine Großmutter. Bei dieser Gelegenheit fiel mir ein Heft in augenscheinlich noch viel älterer Schrift in die Hände, welches ich, nachdem später noch ein demnächst zu erwähnender Fund hinzugekommen, nunmehr in Nachstehendem mitteile.
An der Schreib- und Vortragsweise habe ich soviel geändert, als zur lebendigeren Darstellung des Inhalts nötig erschien; an einzelnen Stellen für manche Leser vielleicht kaum genug; an dem Inhalte selbst ist nicht von mir gerührt worden.
Und somit möge der Schreiber jenes alten Aufsatzes selbst das Wort nehmen.
*
1700. Um diese Zeit war mein lieber nun in Gott ruhender Vater Capellan oder Diaconus im Dorfe Schwesen, allwo er seine dürftige Einkünfte, als mehrentheils an Butter, Korn und Fleisch, von Haus zu Hause einsammeln und überdieß zu seinem Predigtdienst auch noch die Schule halten mußte. Da aber meine lieben Eltern sich
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