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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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innern Blick gewesen.
    – – Und die schwülen Spätsommermonde sind gekommen. – Und, da ihre schwere Stunde näher rückte, hat das junge Weib die Nachmittage in dem Rittersaal verbracht; denn hier in dem weiten Raume, dessen Fenster dann im Schatten lagen, war es frisch und kühl. Schon als Mädchen hatte sie gern mit ihrer Arbeit hier gesessen; jetzt nähte sie eifrig an der kleinen Aussteuer für die Wiege, die voll schwellender Kissen schon daneben in der Kammer stand; und wenn ein Käppchen oder ein Hemdlein auch nur zur Hälfte fertig war, dann hielt sie’s vor sich hin und betrachtete es, halb in Entzücken, halb in dunklem Grauen. Früher und noch bis vor kurzem war die Schaffnerin, die alte Maike, ihr zur Gesellschaft dagewesen, aber auch diese hatte Herr Hennicke verabschiedet, weil sie, so sagte er, zu alt in der Herberge geworden sei; in Wahrheit, weil sie der stummen Klage in seines Weibes Auge unterweilen ihren fertigen und dreisten Mund geliehen hatte. Daher ist jetzt nur die stille Gesellschaft der Bilder ihrer Vorfahren um die junge Frau gewesen; aber fast von allen wußte sie, sei es, was ihr Leben einst erfüllt oder was, oft jählings, aus demselben sie hinausgetrieben hatte. Einst hatte die alte Maike ihr das erzählt; jetzt war ihr, wenn sie auf die einen oder andern blickte, als erzählten es die toten Bilder selber, daß ihres Lebens Lust und Jammer nicht vergessen werde. Und von dem milden Antlitz ihres Vaters gingen ihre Blicke stets nach jener fernsten Ecke, wo in dem Schatten der Fensterwand des jungen bleichen Obristers Bildnis hing; von diesem weiter zu der stolzen Dame mit der Reiherfeder, die jetzt mit ihren dunkeln Augen in das Leere schaute. Dann schrak sie wohl zusammen und ließ die kleine Arbeit aus den Händen fallen; denn ihr war gewesen, als hübe auf der Dame Hand der Stieglitz seine Flügel, als ob er plötzlich seinen Sang beginnen wolle. Aber wenn sie mit aufgerissenen Augen horchte, so war es totenstill im Saale.
    Auch einmal, da in der steigenden Dämmerung es immer einsamer um sie geworden war, als auch draußen das Rauschen in den Eichen aufgehört hatte und ihr die müden Hände in den Schoß gesunken waren, ist es über sie gekommen, als wäre in dem leeren Saal nun auch sie selber nicht mehr da, sondern statt ihrer nur noch ihr Bildnis, das mit den anderen in den stillen Raum hinabsehe. Sie hat versucht, die Arme oder den Fuß zu strecken, aber sie hat es nicht vermocht; ihr ist gewesen, als sei sie nun für immer leblos in den dunkeln Rahmen des Bildes festgebannt. Das finstere Wort des Vaters hat vor ihr gestanden; doch als es jählings sie durchfuhr, daß dies den Tod bedeuten möge, da hat die Mutterangst aus ihr geschrien: »Mein Kind, mein Kind! Was soll aus meinem Kinde werden!« Und mit gelösten Gliedern ist sie aufgesprungen und in dem fast dunkeln Saal umhergewandert; als sie aber an ihrem eignen Bild vorübergekommen, hat sie geschaudert und ist dann eilig in die Kammer nebenan geflohen, allwo sie mit der teueren Bürde unter ihrem Herzen an der Wiege hingesunken ist.
    Herr Hennicke hat dies nie erfahren; aber sein junges Weib hat es in ihrer letzten Not ihrem alten Seelsorger, dem Pastor drunten aus dem Dorfe, anvertraut; von diesem ist es auf seinen Nachfolger Albertus Petri übertragen worden, welcher vor seinem Dienstantritt als Informator in Herrn Hennickes Hause lebte und später der erste Erzähler dieser Geschichte wurde.
     
    Und als die Zeit erfüllt war, sind nach schwerer Angst die Kammerwände von der matten Stimme eines Knäbleins angeschrien worden; die Mutter selber aber hat am dritten Tage ein Schlaf befallen, aus welchem die Seele nicht mehr Kraft gehabt hat, sich emporzuringen. Und wieder danach am dritten Tage, da eben durch die kleinen Scheiben das letzte Sonnengold hereinleuchtete, ist draußen aus der Abendstille ein süßer Vogelgesang erschollen, obwohl die Zeit des Singens längst vorüber war und schon der Herbst die Blätter von den Bäumen riß. Die Kranke aber ist aus ihrem Fieber aufgefahren und hat mit Wehelaut gerufen: »Der Stieglitz! Maike, ach, der Stieglitz singt!« Und als im selben Augenblick Herr Hennicke mit hartem Schritt hereintrat, ist er in jähem Schrecken an der Schwelle festgehalten worden und hat mit vorgerecktem Halse horchend dagestanden.
    Da war es, als ob der Vogelsang sich nebenan im Bildersaal verliere; dann ward es völlig still, und auch die Wöchnerin sank stumm in ihre Kissen; doch als Herr

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