Werke
Kopf, und seinen Spazierstock schwingend, schritt er zur Tür hinaus.
– – Einige Tage später saß drüben in der Stadt Wulf Fedders neben seiner hübschen blonden Braut. Sie plauderte schon lange und schien eifriger zu fragen als er zu antworten.
»Und sie ist jetzt zum zweiten Male fortgelaufen?« hub sie aufs neue an.
»Ja, zum zweiten Male.«
»Und ihr habt keine Spur von ihr gefunden, gar keine?«
Er schüttelte den Kopf. »Nicht weiter als bis unten an der Flußmündung, wo auch das Boot gefunden wurde.«
»Du Ärmster, wie hast du dich wohl abgemüht.«
»Du übertreibst, Cäcilie; ich habe mich nicht abgemüht.«
Sie neigte den Kopf und sah ihn von unten auf mit ihren blauen Augen an. »Leugne es nur nicht! Und – weißt du? – wäre es eine andere gewesen, ich hätte eifersüchtig werden können!«
Ein leichtes Rot überflog sein Antlitz.
»Du?« rief sie neckisch drohend und erhob den Finger ihrer weißen Hand.
Wulf Fedders sah sie düster an. »Wollen wir nicht lieber von etwas anderem reden als immer nur von jenem armen Mädchen?«
Die junge Dame strich sich sorgsam ihre Kleider glatt und richtete sich in ihrem Sessel auf. »Weißt du?« sagte sie. »Sie interessierte mich doch; ich wußte nur nicht, wo ich sie hintun sollte; nach dieser Geschichte aber bin ich ganz im reinen! Nicht wahr, sie hatte so ruhelose Augen? Es war ein rechtes Vagabondenangesicht!«
Ein Vierteljahrhundert ist seitdem vergangen. Das Gewese der »Wald- und Wasserfreude« wurde schon derzeit in dem Zippelschen Konkurse von dem früheren Besitzer für seinen ältesten Sohn zurückerworben, und mit diesem ist die alte patriarchalische Bauernwirtschaft, sind die billigen Preise und die Gäste wieder eingezogen. – Vor dem Abnahmehause, drunten am Flußufer, liegt noch immer der große Stein, auf welchem einst Wulf Fedders seine Anwandlung jugendlicher Träumerei überstand. Statt seiner konnte man noch vor wenigen Jahren einen kleinen alten Mann dort sitzen sehen, der bei einer der jetzt in dem Hause wohnenden Arbeiterfamilien von der Gemeinde in die Kost verdungen war. Zuweilen, an milden Sommerabenden, wenn drinnen die Hausbewohner schon zur Ruhe waren und nur die einsame Sternennacht im Flusse widerschien, zogen von dorther klare Geigentöne über Dorf und Anger. Wer noch wach war und aufmerksam hinüberlauschte, hätte wohl einzelne Passagen eines Mozartschen Adagios erkennen mögen; dazwischen tauchte eine sehnsüchtige Melodie empor und verklang und kehrte wieder, bis – oft in später Nacht – das Geigenspiel verstummte.
Drüben aber in der Stadt, in dem Archiv der alten Landvogtei, zu deren Bezirk die einstige »Wald- und Wasserfreude« gehört, liegt unter den Akten über Verschollene ein Heft mit ganz vergilbtem Deckel; es enthält die Verwaltungsnachweise über Kättis Erbgelder, deren Zinsen längst das Kapital verdoppelt haben.
Der gegenwärtige Landvogt ist Wulf Fedders, welcher bald nach seiner Verlobung alle Gedanken an künftigen Gelehrtenruhm mit der sicherer zum häuslichen Herde führenden Beamtenlaufbahn vertauscht hatte. Alle Jahre einmal, bei der Revision der Vormundschaften und Kurateln, gehen jene Akten durch seine Hände. Dann gedenkt er plötzlich wieder der dunkelfarbigen Kätti und seiner Schülerzeit und jener Tage in der »Wald- und Wasserfreude«. Aber er hat gar viele Akten und zu Hause eine blonde Frau und viele Kinder; bevor er noch den Weg vom Amtslokale nach seiner Wohnung zurückgegangen ist, haben diese Erinnerungen ihn schon längst verlassen.
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Eekenhof
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Es klingt wie eine Sage, und man könnte es fast für eine solche halten; an mehreren Orten soll es geschehen sein, und die Poeten haben hie und da einen Fetzen davon abgerissen, um ihn, jeder nach seiner Weise, zu verwenden. Dennoch möchte ich eine abgelegene Wiese unserer engeren Heimat, auf welcher die deutlich erkennbare Vertiefung eines jetzt verschütteten Ringgrabens und einige halb zersplitterte Eichenriesen am Rande derselben die Stätte eines einstigen Herrensitzes anzeigen, für den Schauplatz halten, auf welchem diese Schatten der Erinnerung einst in lebendiger Gestalt vorübergingen. Nicht etwa, weil es dort vor Jahren noch in selten ausführlicher Überlieferung erzählt wurde; aber es ist nachweisbar von Geschlecht zu Geschlecht bis in die Gegenwart heraufgeklommen, und wenn wir die Stufen wieder abwärts steigen, so treffen wir auf den ersten Erzähler, dessen Name in dem noch erhaltenen
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