Werke
er zwar nicht befallen worden, deren treue Bekämpfung aber den ohnehin schon schwachen Rest seiner dem Dienste der Menschenliebe gewidmeten Kräfte aufgerieben hat.
Diese Nachricht an Sie, werter Herr, und die Übersendung seiner Abschiedsworte habe ich ihm in seiner letzten Stunde zugesichert.
Möge der große Gott mit unserem Toten und auch mit Ihnen sein!«
Dann nahm ich den Brief meines Freundes.
»Noch einmal, Hans«, so schrieb er, »greife ich nach Deiner Hand und hoffe, Du wirst die meine fassen können; nur ein Wort noch, damit Du von mir wissest und meiner in Frieden gedenken mögest!
Ich habe ehrlich ausgehalten; mitunter nicht ohne Ungeduld, so daß mir die Gedanken kamen: Was bist du doch der Narr? Der Weg hinaus ist ja so leicht! – Aber ich hatte damals noch die Kraft, mich abzuwenden, daß ich an mir selber nicht zum Frevler würde. Jetzt endlich geht die Zeit der furchtbaren Einsamkeit, in der ich hier die zweite Hälfte meines Lebens hingebracht habe, ihrem Ende zu. Die Kräfte sinken rasch; ich wundere mich, daß ich noch lebe, zugleich aber sehe ich vor mir das Tor zur Freiheit von anderer, ich weiß nicht, von welcher Hand geöffnet – – oh, meine Elsi! möchte es die deine sein!
Lebe wohl, Hans, mein Freund; ich fühl’s, das Sterben kommt!«
– – So war sein Leiden denn zu Ende. – Ob eine solche Buße nötig, ob es die rechte war, darüber mag ein jeder nach seinem Innern urteilen; daß mein Freund ein ernster und ein rechter Mann gewesen ist, daran wird niemand zweifeln.
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Der Schimmelreiter
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Was ich zu berichten beabsichtige, ist mir vor reichlich einem halben Jahrhundert im Hause meiner Urgroßmutter, der alten Frau Senator Feddersen, kundgeworden, während ich, an ihrem Lehnstuhl sitzend, mich mit dem Lesen eines in blaue Pappe eingebundenen Zeitschriftenheftes beschäftigte; ich vermag mich nicht mehr zu entsinnen, ob von den »Leipziger« oder von »Pappes Hamburger Lesefrüchten«. Noch fühl ich es gleich einem Schauer, wie dabei die linde Hand der über Achtzigjährigen mitunter liebkosend über das Haupthaar ihres Urenkels hinglitt. Sie selbst und jene Zeit sind längst begraben; vergebens auch habe ich seitdem jenen Blättern nachgeforscht, und ich kann daher um so weniger weder die Wahrheit der Tatsachen verbürgen, als, wenn jemand sie bestreiten wollte, dafür aufstehen; nur so viel kann ich versichern, daß ich sie seit jener Zeit, obgleich sie durch keinen äußeren Anlaß in mir aufs neue belebt wurden, niemals aus dem Gedächtnis verloren habe.
Es war im dritten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts, an einem Oktobernachmittag – so begann der damalige Erzähler –, als ich bei starkem Unwetter auf einem nordfriesischen Deich entlangritt. Zur Linken hatte ich jetzt schon seit über einer Stunde die öde, bereits von allem Vieh geleerte Marsch, zur Rechten, und zwar in unbehaglichster Nähe, das Wattenmeer der Nordsee; zwar sollte man vom Deiche aus auf Halligen und Inseln sehen können; aber ich sah nichts als die gelbgrauen Wellen, die unaufhörlich wie mit Wutgebrüll an den Deich hinaufschlugen und mitunter mich und das Pferd mit schmutzigem Schaum bespritzten; dahinter wüste Dämmerung, die Himmel und Erde nicht unterscheiden ließ; denn auch der halbe Mond, der jetzt in der Höhe stand, war meist von treibendem Wolkendunkel überzogen. Es war eiskalt; meine verklommenen Hände konnten kaum den Zügel halten, und ich verdachte es nicht den Krähen und Möwen, die sich fortwährend krächzend und gackernd vom Sturm ins Land hineintreiben ließen. Die Nachtdämmerung hatte begonnen, und schon konnte ich nicht mehr mit Sicherheit die Hufen meines Pferdes erkennen; keine Menschenseele war mir begegnet, ich hörte nichts als das Geschrei der Vögel, wenn sie mich oder meine treue Stute fast mit den langen Flügeln streiften, und das Toben von Wind und Wasser. Ich leugne nicht, ich wünschte mich mitunter in sicheres Quartier.
Das Wetter dauerte jetzt in den dritten Tag, und ich hatte mich schon über Gebühr von einem mir besonders lieben Verwandten auf seinem Hofe halten lassen, den er in einer der nördlicheren Harden besaß. Heute aber ging es nicht länger; ich hatte Geschäfte in der Stadt, die auch jetzt wohl noch ein paar Stunden weit nach Süden vor mir lag, und trotz aller Überredungskünste des Vetters und seiner lieben Frau, trotz der schönen selbstgezogenen Perinette- und Grand-Richard-Äpfel, die noch zu probieren waren,
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