Werke
stehengeblieben –, »pfui, pfui! Dies edle Geschöpf zum Mittel einer Heilung zu erniedrigen, es würde nur ein neues Verbrechen sein!«
Ich blickte aus dem Banne dieser furchtbaren Erzählung in dem Zimmer umher; von dem engen Hofe fiel schon die Dämmerung herein, es regnete draußen. »Laß uns ein Weiteres auf morgen sparen«, sagte ich; »das Ungeheure, das ich gehört habe, verwirrt mich noch; ich komme morgen schon in der Frühe zu dir!«
Er nickte und reichte mir die Hand. »Tu das, Hans, und schlafe gesund, wenn dein treues Herz dich schlafen läßt!«
– – Ich ging und fand im Hotel meine alte Verwandte ungeduldig meiner harrend. »Wo bleibst du, Hans? Ich sitze hier schon stundenlang, die Hände im Schoß, und der Tee ist längst bitter!«
Meine Entschuldigung, daß ich einen alten Freund, mit hartem Schicksal beladen, wiedergefunden, wollte kaum verschlagen; ob aber der Tee bitter war, habe ich damals nicht geschmeckt.
Nach einer freilich meist schlaflosen und in vergeblichem Sinnen verbrachten Nacht machte ich mich – es war doch schon gegen sieben Uhr geworden – zu meinem Freunde auf den Weg. Als ich in das Haus trat, sah ich, daß dessen Zimmertür weit offenstand; und eine alte Magd schien drinnen aufzuräumen, als ob dort kein Bewohner mehr vorhanden sei; selbst die Fenster nach dem Hofe waren aufgesperrt.
»Ist denn der Herr Doktor schon ausgegangen?« frug ich näher tretend.
Aber das Frauenzimmer schlug mit gespreizter Hand einen Halbkreis durch die Luft: »Fortgefahren ist er, schon um vier Uhr; er kommt nit wieder!«
In meiner Bestürzung sah ich, wie einen Anhalt suchend, durch das Fenster auf den Hof und gewahrte dort die Dohle noch wie gestern auf dem Holunderbusche hucken. Die Magd hatte sich auf ihren Scheuerbesen gestemmt und schaute gleichfalls dahin. »Ja«, sagte sie, »den ruppigen Vogel, den hat der Herr Doktor meiner Herrschaft hiergelassen!«
»Hatte die denn das Tier so gern?«
Die Alte schneuzte die Nase in ihren Schürzenzipfel; dann schüttelte sie grinsend ihren Kopf: »Aber eine Handvoll Gulden hat er draufgegeben, der Herr Doktor, und gesagt, das sei das Kostgeld.«
In diesem Augenblick gewahrte ich einen Brief mit meiner Adresse auf einem Tische liegen; es war die mir noch wohlbekannte Handschrift meines Freundes. Ich nahm ihn und sagte: »Der Brief ist an mich!«
Das Weib sah mich an: »Ja, wer sind S’ denn eigentlich?«
Ich nannte meinen Namen und fügte hinzu: »Habt Ihr mich nicht gesehen? Ich war doch gestern den ganzen Nachmittag bei dem Herrn Doktor!«
»Ach ja, da wird’s scho richtig sein; wissen S’, ich hätt nachher doch den Brief Ihnen sollen bringen.«
So ging ich denn mit klopfenden Pulsen, aber wie mit einem gewonnenen Schatze in mein Hotelzimmer und las, was, wie ich jetzt glaube, Franz mir schon gestern hätte sagen können.
»Lebe wohl, mein Freund« – so schrieb er, und es dauerte eine Weile, bevor ich weiterlesen konnte –, »wir werden uns nicht wiedersehen. Daß Du zur rechten Zeit mich fandest, daß ich zu Dir das Ungeheure von der Seele sprechen konnte, hat meinen Geist befreit; ich bin jetzt fest entschlossen: ich gehe fort, weit fort, für immer, nach Orten, wo mehr die Unwissenheit als Krankheit und Seuche den Tod der Menschen herbeiführt. Dort will ich in Demut mit meiner Wissenschaft dem Leben dienen; ob mir dann selber Heilung oder nur der letzte Herzschlag bevorsteht, will ich dort erwarten. Noch einmal, lebe wohl, geliebter Freund!«
*
Seitdem, fast dreißig Jahre lang, hörte ich nichts mehr von Franz Jebe; nur durch Lenthes, mit denen ich später in nähere Verbindung trat, daß sein Assistent wirklich das Erbe seiner Praxis angetreten habe, wozu Franz ihm aus der Ferne noch behülflich gewesen sei. Dann, im Herbste 1884, gelangte ein Schreiben aus Ostafrika an mich, dessen Adresse von einer mir fremden Hand war. Als ich es geöffnet hatte, fielen zwei Briefe heraus, der eine, leicht erkennbar, von der Hand meines lang verschollenen Freundes, der andere von der Feder, welche die Adresse an mich geschrieben hatte. Ich las diesen letzteren zuerst; er war nach der Unterschrift von einem Missionar:
»Gruß in Christo Jesu zuvor!
In der Nacht vom 16. Mai d. J. ist hier der stets hülfreiche und, obwohl er den rechten Weg des Heils verschmähte, dennoch von der Liebe Gottes erfüllte Dr. med. Herr Franz Jebe unter meinen Gebeten zum wahren Gott-Schauen entschlafen; infolge einer schweren Seuche, von der
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