Werke
einen lauten Schrei aus.
»Erschrick nicht!« sagte ich leise, »es hat nicht Not, es kommt nur von der Abendluft.«
Sie wandte sich um und starrte mich wie verwirrt an. »Du!« rief sie, »was willst du hier?«
»So mach doch nicht so böse Augen!« sagte ich und suchte ihre Hand zu fassen.
Sie entriß sie mir. »Wo ist Barthel?«
»Er ist zurückgeblieben; ich habe dich über den See gefahren.«
Sie richtete sich auf. »Laß mich hinaus!« rief sie, indem ihr die Tränen aus den Augen sprangen.
Ich hörte nicht auf sie; ich wandte nur den Schlitten nach der Stadt zurück. »Lore«, sagte ich, »was habe ich dir getan?«
Aber sie stieß mich mit der kleinen geballten Faust vor die Brust. »Geh doch zu deinen feinen Damen! Ich will nichts mit euch zu tun haben; mit dir nicht, mit keinem von euch!«
Es war wie Wut, was mich überfiel. Ich faßte sie mit beiden Armen und drückte sie hart auf den Sitz nieder.
»Du bist ruhig, Lore«, sagte ich, und die Stimme bebte mir, »oder ich wende noch einmal den Schlitten, und ich fahre dich in die Nacht hinaus, unter der Brücke durch, so weit der Strom ins Land hinaus reicht; mir gleich, ob es hält oder bricht!«
Sie hatte währenddessen, fast als beachte sie meine Worte nicht, seitwärts über den See geblickt; aber sie blieb sitzen und ließ sich ruhig von mir fahren. Nur fiel es mir auf, daß sie bald darauf wiederholt und wie verstohlen nach derselben Seite blickte. Als auch ich den Kopf dahin wandte, sah ich einen Schlittschuhläufer in nicht gar weiter Ferne auf uns zustreben. Er mußte bemerkt haben, was soeben vorgefallen; denn er strengte sich augenscheinlich an, uns zu erreichen.
Und schon hatte ich ihn erkannt; es war Christoph, mein alter Spielkamerad, der große Feind der Lateiner. Ich wußte auch wohl, was jetzt bevorstand; es galt nur noch, wer von uns der schnellste sei.
»Nur zu!« sagte Lore, indem sie ihr Pelzkäppchen zurückschob, daß ihr schwarzes Haar sichtbar wurde. »Er kriegt dich doch!«
Ich konnte nicht antworten; schneller als je zuvor trieb ich den Schlitten vorwärts; aber ich keuchte, und meine Kräfte, von der langen Fahrt geschwächt, begannen nachzulassen. Immer näher hörte ich den Verfolger hinter mir; rastlos und schweigend war er uns auf den Fersen; dann plötzlich hörte ich dicht an meiner Seite seine Schlittschuhe scharf im Eise hemmen, und eine schwere Hand fiel neben der meinen auf die Lehne des Schlittens. »Halbpart, Philipp!« rief er, indem er mit der andern an meine Brust griff.
Ich riß seine Hand los und stieß den Schlitten fort, daß er weit vor uns hinflog. Aber in demselben Augenblick erhielt ich einen Faustschlag und stürzte rücklings mit dem Hinterkopf auf das Eis. Nur undeutlich hörte ich noch das Fortschurren des Schlittens; dann verlor ich die Besinnung.
Ich blieb indes nicht lange in dieser Lage. Wie ich später von ihm hörte, hatte Christoph bald darauf sich nach mir umgesehen und war, da er mich nicht nachkommen sah, auf den Platz unseres Kampfes zurückgekehrt. Nicht ohne große Bestürzung hatten dann beide, nachdem Lore ausgestiegen, mich in den Schlitten gehoben. – Mir selbst kam nur ein dunkles Gefühl von alledem; es war wie Traumwachen. Mitunter verstand ich einzelne Worte ihres Gesprächs. »Behalt doch deinen Mantel, Lore!« hörte ich Christoph sagen. – »O nein; ich brauch ihn nicht; ich laufe ja.« – Und zugleich fühlte ich, daß etwas Warmes auf mich niedersank. Der Schlitten bewegte sich langsam vorwärts. Dann kam es wieder wie Dämmerung über mich; immer aber war es mir, als ginge ein leises Weinen neben mir her.
Zum völligen Bewußtsein erwachte ich erst in der Wohnstube und auf dem Sofa des Wassermüllers, der hart am Ufer des Mühlenteiches wohnte. Lore hatte mit ihrer Mutter, die mittlerweile auch herausgekommen war, nach Hause gehen müssen; Christoph aber war zurückgeblieben und hatte sich auf den Rat der Müllersfrau damit beschäftigt, mir nasse Umschläge auf den Kopf zu legen. Als ich die Augen aufschlug, saß er neben mir auf dem Stuhl, eine irdene Schüssel mit Wasser zwischen den Knien. Er wollte eben das Leintuch erneuern, aber er zog jetzt die Hand zurück und fragte schüchtern: »Darf ich dir helfen, Philipp?«
Ich setzte mich aufrecht und suchte meine Gedanken zu sammeln; der Kopf schmerzte mich. »Nein«, sagte ich dann, »ich brauche deine Hülfe nicht.«
»Soll ich jemand für dich aus der Stadt holen?«
»Geh nur; ich werde schon allein nach
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