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Wernievergibt

Wernievergibt

Titel: Wernievergibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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der Fernsehturm in der Nacht.«
    »Sag mal, hast du was genommen? Du bist so komisch gut drauf.« Ich rieb mir die Augen.
    »Kannst gern den ganzen Tag im Bett bleiben, Kealein, ich gehe jetzt raus, ich will was mitkriegen! Weißt du, wann ich das letzte Mal im Urlaub war?«
    »Keine Ahnung, vielleicht 1960?«, frotzelte ich.
    »Quatschkopf. Für dich ist das Arbeit hier, aber ich muss alles sehen. Einfach alles.«
    Mir schwanden die Sinne bei der Vorstellung, hinauszutreten in diese staubige, chaotische Stadt. Am frühen Morgen, als wir vom Flughafen mit dem Taxi kommend das Hotel erreichten, hatte ich wenig gesehen außer knallbunt angestrahlte Veranden, die mich an Disneyland erinnerten, und kopfsteingepflasterte, krumme Straßen.
    »Ich verkrafte die Zeitverschiebung nicht so schnell«, mäkelte ich.
    »Pah, zwei Stunden, das ist nichts. Ich habe schon Kaffee getrunken und einen Spaziergang gemacht. Und jetzt will ich endlich raus und was sehen.« Sie trat von einem Fuß auf den andern, wie ein nörgeliges Kind.
    Ich blickte aus dem Fenster, in ein brodelndes, wirbelndes, schmutziges Leben wie aus dem Märchenbuch. Der Verkehrslärm war selbst hier, im historischen Zentrum, so laut und aggressiv, dass ich für ein paar Sekunden die Augen schloss, um mir meine Klause im Südwesten von München vorzustellen. Mein einsames Haus zwischen Wiesen, der flach ansteigende Hang, der in einen Wald mündete. Weiter Richtung Westen Pferdekoppeln und ein bayerischer Zwiebelturm. Kein Geräusch, außer dem Wind, der in den Zweigen sang, und das Schnattern meiner Graugänse. Die Idylle pur. Selbst im Vorfrühlings-Dauerregen. Hier dagegen …
    »Schmier dir deine Neurosen sonst wohin«, sagte Juliane hart. »Die Sonne scheint, es ist trocken. Unten an der Rezeption haben sie mir gesagt, dass seit Tagen Regenwetter gewesen wäre. Wir haben mehr Glück als Verstand!«
    Ich krabbelte aus dem Bett. Trug noch mein T-Shirt, das ich auf der Reise angehabt hatte. Vor Erschöpfung war ich heute morgen gegen 5 Uhr Ortszeit einfach ins Bett gekippt. Jetzt war es kurz nach eins.
    »Mira Berglund muss auch hier gewohnt haben«, sagte ich, während ich ins Bad tappte. »Lass uns mal fragen, ob sie ausgecheckt hat oder so.«
    Juliane hielt mir wieder ihren Flyer vors Gesicht. »Hier. Heute Abend tritt die gefeierte Clara Cleveland in Tbilissi auf.«
    »Gefeiert?« Ich gähnte ausgiebig und ging ins Bad.
    »Dein Hirn muss irgendwie blockiert sein«, warf Juliane mir vor. »Seit September hat sie ein Engagement an der Münchner Staatsoper. Die deutschen Zeitungen überschlagen sich. Sie ist jung, Mitte 30, und ihre Stimme gilt als mindestens ebenso gewaltig wie die der Callas.«
    »Meine Güte, welch Superlative!« Ich wusch mein Gesicht. »Hast du München gesagt?«
    »Hab ich. Ein Gruß aus der Heimat. Sag bloß, du hast nie etwas von der Cleveland gehört?«
    »Heißt die wirklich so?«
    »Sie heißt mit bürgerlichem Namen Clara Müller, aber damit wirst du kein Opernstar.«
    »Kann ja nicht jeder Juliane Lompart heißen.« Ich griff zur Haarbürste und fing an, meine verfilzten Strähnen zu entknoten. Dass Juliane Musikkritiken las, war mir völlig neu. »›Juliane Lompart on stage tonight‹ – was für eine Propaganda!«
    »Du kannst mich mal, Schnullerbacke!«
     
    »Nein, Frau Berglund hat nicht ausgecheckt, und ihre Sachen sind noch hier«, gab der Angestellte hinter der Rezeption bereitwillig Auskunft. Er war ein langer Lulatsch mit großen, hervortretenden schwarzen Augen, die melancholisch in die Luft blickten. Das Namensschild am Revers wies ihn als Beso Bolkwadse aus. Sein Deutsch war beinahe akzentfrei.
    »Das heißt, sie ist nicht abgereist?«, fragte ich.
    »Sie hat das Hotel am 2. April am frühen Morgen verlassen. Ein Wagen hat sie abgeholt, ein blauer Opel Vectra, soweit ich mich erinnere. Als sie nach drei Tagen nicht wiederkam, haben wir das Zimmer freigeräumt und ihren Koffer im Keller abgestellt.« Beso sah betreten drein.
    »Sie haben niemanden informiert?«, erkundigte ich mich.
    »Wir haben Frau Digas in München verständigt. Sie hatte die Reservierung für Frau Berglund per Fax vorgenommen. Wegen der Osterfeiertage haben wir sie erst am 6. April erreicht. Frau Digas hat das Zimmer sofort bezahlt und für Sie weiterbelegt.«
    »Auf meinen Namen?«
    »Ja.« Er zog einen Ordner unter der Empfangstheke hervor und fummelte mit irgendwelchen Papieren herum. »Hier.«
    Das interessierte mich alles nicht. Nur soviel

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